Die Hüter der Nacht
gemacht, Chief Inspector«, erklärte Anna mit ruhiger Stimme und hielt die Perücke an ihrer Seite. »Odessa, die Organisation, deren Aufgabe es war, entkommene Nazis wieder anzusiedeln, zählte zuerst zu diesen Feinden. Eines Nachts jagten sie unser Haus in die Luft. Man fand mich auf dem Rasen. Mein halbes Gesicht war verbrannt, doch ich wurde gerettet. Meine Eltern nicht.«
»Das tut mir Leid …«
»Das braucht Ihnen nicht Leid zu tun. Wir tun das nicht für Sie. Wir tun es für Deutschland und das Vermächtnis unserer Namen.«
»Es geht nicht nur um Mundt, nicht wahr?«, sagte Danielle. »Sie dachten, ich hätte Informationen über etwas anderes, über jemanden anders. Über wen? Wohinter sind Sie wirklich her?«
»Können Sie sich das nicht zusammenreimen?«
»Nein.«
»Mundt konnte es. Es steckte hinter allem, was er in Ihrem Land getan hat. Aber das spielt jetzt keine Rolle mehr, denn wir werden mit oder ohne den Beweis handeln, dass er gefunden ist.«
»Welcher Beweis?«
Bevor Anna antworten konnte, gingen im Haus die Lichter aus.
64.
Sekunden später flog die Tür der Bibliothek auf, und die Wächter, die Anna davongeschickt hatte, stürzten ins Zimmer.
»Gnädige Frau!«, rief einer.
»Hier!«, stieß Anna hervor, bevor Danielle ihr eine Hand auf den Mund pressen konnte. Sie wollte Anna als Geisel nehmen, um freien Abzug zu bekommen. Doch Anna wand sich aus der Umklammerung. Danielle hörte das Kleid der Frau reißen, als sie sich von ihr losriss.
»Erschießt sie nicht!«, befahl Anna.
Zwei weitere Wächter stürmten herein und schwangen Taschenlampen. Ihre Strahlen schnitten durch die Dunkelheit in dem großen Raum, als die Männer nach Zielen suchten.
Plötzlich blitzte Mündungsfeuer von den Reihen der Bücher, mit denen eine gesamte Wand bedeckt war. Die Feuerblitze trafen den Fußboden; einer zerschmetterte eine Taschenlampe, während der Strahl der zweiten Lampe weiterhin die Bibliothek erhellte.
Anna rief verzweifelt Befehle. Ihre verbliebenen Wächter stürmten durch den Raum, wobei sie vom Licht der unversehrten Taschenlampe erfasst wurden, die über den Boden rollte. Weitere schallgedämpfte Schüsse begleiteten jetzt die Mündungsblitze. Danielle hörte Schreie und den Aufprall Getroffener, die zu Boden fielen.
Im blassen Licht der Lampe wollte sie zur Tür.
»Nein!«, befahl plötzlich eine Männerstimme hinter ihr, und ein erstaunlich starker Arm umklammerte ihre Taille. »Von dort kommt Verstärkung.«
»Wer sind Sie?«
»Keine Zeit! Zum Fenster! Schnell!«
Das große Flügelfenster vor ihnen führte hinaus aufs Grundstück. Der hünenhafte Fremde eilte darauf zu und zog Danielle hinter sich her.
Er feuerte ein paar Mal auf die Fensterscheibe, und das Glas zersplitterte. Danielle und der Fremde sprangen hinaus, landeten draußen auf weichem Boden und stürmten weiter. Wieder zersplitterte Glas. Schritte pochten hinter ihnen, und Schüsse peitschten durch die Nacht. Danielle konnte mit dem Mann an ihrer Seite kaum Schritt halten. Sie sah, wie er eine Nachtsichtbrille wegwarf, was erklärte, weshalb er in der Finsternis im Haus hatte zielen und so geschickt handeln können.
Danielle konzentrierte sich auf die Steinmauer um das Grundstück, die jetzt vor ihnen erschien. Sie war fast drei Meter hoch und kaum zu erklettern, es sei denn, man klammerte sich an dem wilden Wein fest, der an der Mauer emporrankte.
Genau das taten sie.
Der große Mann hangelte sich ein gutes Stück vor Danielle über die Mauer und schaute zurück, um zu sehen, wo sie blieb. Danielle kletterte mühsam hinter ihm her, bis sie die obere Mauerkante erreichte. Sie ließ sich über die Mauerkrone fallen und landete in einem dichten Busch, der ihren Sturz bremste. Erleichterung durchströmte sie, als sie von dem Villengrundstück herunter war.
Wer ist der Mann, der mich gerettet hat?
Ein Wagen fuhr im Rückwärtsgang heran und stoppte mit quietschenden Reifen. Die Beifahrertür schwang auf, als die ersten Verfolger über der Mauer auftauchten.
»Rein, wenn Sie überleben wollen!«, rief ihr Retter.
Danielle sprang in den Wagen. Der Mann fuhr los, bevor sie Zeit hatte, die Tür ganz zu schließen.
Sie blickte zu dem Mann hinter dem Lenkrad und erkannte ihn von einem Foto, das sie nur Minuten zuvor gesehen hatte.
Es war Hans Mundt.
65.
»An Iznak«, wiederholte Ben bei dem Vorarbeiter am Fuß des riesigen Stahlgerüsts. »Verzeihen Sie. Ich muss mit Max Price sprechen.«
Der Vorarbeiter
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