Die Hüter der Nacht
betrachtete noch einmal die Polizeimarke, und Ben hielt sie ihm näher vors Gesicht. »Mr. Price ist Israeli, Inspector«, sagte der Vorarbeiter schließlich. »Sie haben keine Befugnis, mit ihm zu sprechen.«
»Als ich beim letzten Mal die Stadt überprüfte, war Nablus unter palästinensischer Kontrolle«, erinnerte Ben. »Und wenn Sie mir nicht helfen, werden Sie als Erster meine Befugnis kennen lernen.«
Der Vorarbeiter schnaubte und wies am Stahlgerüst nach oben. »Mr. Price ist da oben. Wenn Sie ihn sehen wollen, können Sie mein Gast sein. Allah yisallimak«, fügte er sarkastisch hinzu. »Gott schütze Sie.«
Ben stieg in den offenen Aufzug und drückte auf den Knopf mit der Aufschrift UP. Die Plattform ruckte an und fuhr dann schwankend an der Seite des Gerüsts in die Höhe.
Das im Bau befindliche Gebäude war das zwölfgeschossige Marriot Hotel and Resort. Das Hotel wurde von einem Konsortium errichtet, das sich ›Partner für den Frieden‹ nannte, und befand sich im exklusiven Distrikt Raffiddiyah, nur ein paar Querstraßen von der soeben flügge gewordenen palästinensischen Wertpapierbörse entfernt.
›Partner für den Frieden‹ war auch das einzige Ziel der ermordeten Studenten gewesen, das Ben gut kannte. Das Konsortium bestand aus israelischen und palästinensischen Geschäftsleuten und widmete sich der ökonomischen Expansion in der West-Bank. Ein endgültiger Friedensvertrag, sollte er jemals kommen, würde zu einem gewaltigen Bauboom führen, der viele Leute sehr reich machte. Deshalb hatten sich einige Geschäftsleute – Spekulanten – entschieden, mit dem Bau zu beginnen, solange die Grundstücke hier noch billig waren.
Da der Frieden in den vergangenen paar Monaten in weitere Ferne gerückt war denn je, schien dieses riskante Spiel nicht aufzugehen. Außerdem ging der Bau nur sporadisch voran; oftmals hing es von den Ereignissen eines jeweiligen Tages ab.
Von der Zentrale des Konsortiums hatte Ben erfahren, dass sich an diesem Tag ein wichtiges israelisches Mitglied von ›Partner für den Frieden‹, Max Price, auf der Baustelle aufhielt.
Ben hielt sich am Sicherheitsgeländer fest, als der Aufzug an der Seite des Stahlskeletts emporfuhr. Kurz vor der obersten Etage hielt die Plattform ruckend an. Stahlarbeiter, mit ledernen Sicherheitsgurten an das Gerüst geseilt, waren hier mit Schweißarbeiten beschäftigt. Ein Mann mit Sicherheitshelm und gelockerter Krawatte bemerkte Ben und kam behände über einen kaum einen Meter breiten Laufsteg zum Aufzug.
»Ich bin Max Price«, sagte er und blickte finster auf Ben herab. »Ich hörte, Sie suchen mich.«
Ben hielt seinen Ausweis mit einer Hand, während er sich mit der anderen am Sicherheitsgeländer festklammerte. »Inspector Bayan Kamal von der palästinensischen Polizei, Mr. Price.«
»Wollen Sie heraufklettern?«
»Eigentlich nicht.«
»Was kann ich für Sie tun?«
»Eigentlich kann ich etwas für Sie tun«, erwiderte Ben und steckte den Ausweis ein. »Ich kann Sie aus dem Knast heraushalten.« Ben vergewisserte sich, dass keiner der Arbeiter in Hörweite war, bevor er fortfuhr: »Ich habe die Information, dass Sie und Ihr Konsortium erpresst werden. Ich arbeite an dem Fall.«
»An welchem Fall? Es gibt keinen Fall.«
»Da werden die Medien aber etwas ganz anderes erfahren, wenn ich die Baustelle schließen lasse.«
»Dazu haben Sie keine Befugnis!«
»Die Erpresser wurden ermordet. Das macht all ihre Opfer zu potenziellen Tatverdächtigen, auch Sie. Deshalb könnte ich Sie vorläufig festnehmen …«
Price kratzte sich mit einem gestiefelten Fuß am Knöchel des anderen Beins. »Ich bin Israeli.«
»Und dies hier ist Palästina. Wir spielen hier nach unseren Regeln.«
»Ein Grund mehr, dass Sie sich zurückziehen sollten, Detective.«
»Ich bin Inspector. Und ich ziehe mich zurück, wenn ich von Ihrer Unschuld überzeugt bin.«
»Mal angenommen, es stimmt, was Sie behaupten, und wir sind hier die Opfer gewesen, diejenigen, die erpresst wurden …«
»Sie haben gezahlt.«
»Vielleicht hatten wir keine Wahl.«
»Ich werde Sie nicht fragen, was die Erpresser herausgefunden haben. Ich nehme an, es hat etwas mit den Quellen ihrer Gelder zu tun, mit irgendeiner Sache, über die die palästinensischen und israelischen Behörden sehr erstaunt wären. Zum Beispiel, dass Ihre palästinensischen Partner fingiert sind. Vielleicht nutzt dieses Projekt – und noch andere, die von den Partnern des Friedens unternommen
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