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Die Hueter Der Rose

Die Hueter Der Rose

Titel: Die Hueter Der Rose Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rebecca Gable
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an.
    Sie brachten die Nacht damit zu, in aller Freundschaft darüber zu streiten, wer das Sagen über die Gangart hatte, und ein oder zwei Stunden nach Mitternacht kamen sie an den Stadtrand von Southwark.
    John hoffte zumindest, dass es Southwark war und nur der Fluss ihn noch von London trennte. Aber er war klug genug, nicht bei Dunkelheit in die kleine Stadt am südlichen Themseufer zu reiten, denn sie war berüchtigt. Hier trieb sich allerhand finsteres Gesindel herum, wusste der Junge, und in denHafenschänken verschwand so mancher Zecher auf Nimmerwiedersehen.
    In Sichtweite der ersten Häuser stieg John vom Pferd, nahm ihm den Sattel ab und band es an einen Holunder. Dann rollte er sich neben ihm in seinen Mantel. Schuldbewusst dachte er an seinen Vater und an Joanna. Wie erschrocken und besorgt sie sein würden, wenn sie sein Verschwinden bemerkten. Er dachte auch an Bischof Beaufort, und ein Teil von ihm bedauerte, dass er den Weg nicht einschlagen konnte, den – so glaubte er – sein Vater für ihn vorgesehen hatte. Doch seine Müdigkeit war größer als alle Zweifel und Gewissensbisse. Bald schlief er, und in dieser Nacht blieb er von allen Träumen verschont.
     
    Die Kälte weckte ihn am nächsten Morgen kurz vor Sonnenaufgang, und sein erster Gedanke, noch ehe er sich wirklich erinnerte, wo er war, galt den bedauernswerten Zweijährigen in Waringham, die ebenso wie er die Nacht im Freien verbracht hatten und sicher genauso froren.
    Man kann eben merken, dass wir erst Anfang Mai haben, dachte er und setzte sich auf. Seine Kleidung war klamm vom Tau im langen Gras am Straßenrand. Er strich mit den Händen über die Halme, bis sie nass waren, und wusch sich so notdürftig das Gesicht. Dann öffnete er den bestickten Beutel, den er am Gürtel trug, und holte ein kleines Leinenbündel heraus. Ein Stück Brot war darin eingewickelt – der einzige Reiseproviant, den er bei seinen hastigen Vorbereitungen am gestrigen Abend hatte finden können. Er brach es in zwei Hälften, steckte eine zwischen die Zähne und packte die andere wieder weg. Er wollte lieber genügsam sein. Wer konnte wissen, wie lange er brauchen würde, den Weg quer durch die große Stadt nach Westminster zu finden. Außer dem Brot trug er etwa zehn Schilling – ein halbes Pfund – in kleinen Silbermünzen in dem Beutel. Seine gesamten Ersparnisse. Er hatte nie viel Geld besessen, aber hin und wieder hatten Conrad oder sein Vater ihm für seine unermüdliche Arbeit im Gestüt ein paar Pennys zugesteckt, aus einer Laune heraus. Außerdemtrug er seine besten Kleider – feste, knöchelhohe Stiefel, eng anliegende, dunkelblaue Hosen, ein feines Wams der gleichen Farbe und darüber eine weinrote, ärmellose Schecke, die ihm bis auf die Oberschenkel reichte. Sein Sommermantel war ihm ein wenig zu kurz geworden, reichte ihm nur noch bis an die Waden. Aber er war aus guter, leichter Wolle, und am Kragen war das schwarze Einhorn auf grünem Grund – das Wappen des Hauses Waringham – eingestickt. Außerdem hatte er das Schwert und den Dolch mitgenommen, die sein Vater ihm letztes Jahr zu Neujahr geschenkt hatte, gute, wenn auch schmucklose Waffen. Und das war alles. Er hatte erwogen, das kleine Büchlein mit Gedichten einzustecken, in dem er eine Haarlocke seiner Mutter verwahrte, aber dann hatte er den Gedanken verworfen. Er konnte es verlieren, oder irgendwer konnte ihn damit erwischen. Beide Vorstellungen waren unerträglich.
    Als es hell wurde, sattelte er Mickey und ritt nach Southwark. Die ungepflasterten Gassen und windschiefen Holzhäuser des kleinen Ortes wirkten schäbig, aber nicht bedrohlich. Kaum ein Mensch war zu dieser frühen Stunde auf der Straße. Die wenigen, die John sah, schienen nicht schon, sondern noch auf den Beinen zu sein: ausdauernde Nachtschwärmer, die sich torkelnd an den Häuserwänden entlangtasteten, die Köpfe gesenkt, als schämten sie sich im frühen Morgenlicht ihrer nächtlichen Ausschweifungen.
    John stieß auf einen breiteren Schlammpfad, den man mit viel gutem Willen eine Straße nennen konnte. Hier war schon merklich mehr Betrieb: Hoch beladene Ochsenkarren brachten Eier, Käse, Mehl oder Wolle in die Stadt. Soldaten zogen zu Fuß oder zu Pferd, allein oder in kleinen Gruppen nach London. John schloss sich dem Strom an und ließ sich in nördlicher Richtung treiben. So gelangte er auf die Brücke.
    »Oh, süßer Jesus …«
    Fassungslos starrte der Junge auf das Bild, das sich ihm bot. Der Griff der

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