Die Hüter der Schatten
Psychologin und eine Musikerin – dort eingezogen waren, hatte ich gehofft, daß sich alles beruhigt. Ich wußte ja, daß Alison nicht glücklich darüber wäre, wenn dort jemand lebte, der ihre Interessen nicht teilt …«
»Aber das ist absurd«, platzte Leslie heraus. »Das glauben Sie doch selbst nicht! Falls die Toten tatsächlich noch irgendwo existieren, warum sollten sie noch etwas darauf geben, was mit ihren Besitztümern passiert?«
Claire wirkte bedrückt.
»Ich weiß nicht, was ich Ihnen darauf antworten soll«, sagte sie. »Ich habe keine Ahnung, wieviel Sie von diesen Dingen verstehen.«
»Nichts«, sagte Leslie knapp.
»Das kann ich kaum glauben«, entgegnete Claire. »Nicht wenn man bedenkt, daß Sie bereit sind, sich wissenschaftlich mit einem Poltergeist auseinanderzusetzen. Außerdem … verzeihen Sie, Dr. Barnes, ich schätze den Enquirer nicht mehr als Sie … aber irgend etwas muß doch hinter diesem Artikel stecken.«
Leslie wurde heiß und kalt. Diese Leute hatten also die ganze Zeit gewußt, wer sie war und was sie erlebt hatte. Sie biß sich auf die Unterlippe und spürte, wie ihr die Tränen in die Augen traten.
»Claire, wie kannst du ihr nur so zusetzen?« tadelte Colin. »Bitte verzeihen Sie uns dieses unverzeihliche Eindringen in Ihre Privatsphäre. Dr. Barnes wollte Bücher von uns, Claire, keine ungebetenen Ratschläge.«
Plötzlich wurde Leslie klar, wie töricht sie sich aufführte. Noch heute morgen hatte sie sich verzweifelt gewünscht, irgend jemand könnte ihr erklären, was in ihrem Haus – und in ihrem Leben – vor sich ging. Und nun, da so jemand vor ihr stand wie eine Antwort auf ihre Gebete, hielt sie ihn auf Abstand, und das nur aus Abscheu vor einem Revolverblatt, das eine durchaus reale Geschichte zu einer Sensationsnachricht aufgebauscht hatte.
»Oh, bitte, wenn Sie etwas über diese ganze Sache wissen … ich jedenfalls bin mit meinem Latein am Ende! Ich bin nicht beleidigt, sondern dachte im Gegenteil gerade, daß ich jede Hilfe gebrauchen kann!«
»Haben Sie Poltergeist-Aktivitäten im Haus selbst beobachtet?« fragte Claire.
»Unter anderem«, antwortete Leslie. »Obwohl diese Phänomene nicht erst nach meinem Umzug ins Haus aufgetreten sind. Das erste Mal bin ich hergekommen, weil eine meiner jugendlichen Patientinnen einen Poltergeist entwickelt hat. Ich wußte ja nicht, daß noch mehr dahintersteckt.« Leslie zögerte. Sie fühlte sich hin- und hergerissen zwischen ihrer beruflichen Schweigepflicht und der Erkenntnis, daß sie nicht mehr allein fertig wurde und sich dringend mit einem Fachmann beraten mußte.
Colin bemerkte es sofort. »Dr. Barnes, ein leichter Fall von Poltergeist-Aktivität bei einem Jugendlichen klingt rasch von selbst ab. Deswegen brauchen Sie sich keine Sorgen zu machen«, sagte er. »Ich bin sicher, daß das Kind und seine Familie darunter leiden, aber im Grunde ist es keine schwerwiegende Angelegenheit, glauben Sie mir. Doch wenn ein Erwachsener mit diesen Phänomenen zu tun bekommt, bedeutet das für gewöhnlich, daß das Unsichtbare seine Hand nach ihm ausstreckt. Und in diesem Fall bleibt einem im Grunde keine andere Wahl, als herauszufinden, was vor sich geht, und aus welchem Grund. Claire und ich haben uns gewissermaßen verpflichtet, die Wahrheit über diese Dinge zu ergründen. Wir dienen der Wahrheit und nur der Wahrheit. Und wenn einer von uns Ihnen behilflich sein kann, stehen wir Ihnen gern zu Diensten.«
»Ich weiß ja nicht einmal, wer Sie sind«, entfuhr es Leslie.
»Mein Name ist Colin MacLaren. Ich erforsche diese Materie nun schon seit einem halben Jahrhundert«, erklärte der Alte. »Alison war meine Freundin und Kollegin. Und dies ist Claire Moffat, die mir seit vielen Jahren zur Seite steht.«
Unsicher blickte Leslie auf die Bücher, die sie in der Hand hielt. »Ich kann jetzt nicht reden. Das junge Mädchen – der Poltergeist – kommt in einer Stunde in meine Praxis.«
Claire nahm die Bücher und gab die Preise in die Kasse ein. »Studieren Sie diese Bücher gründlich. Wenn Sie möchten, komme ich heute abend vorbei, um festzustellen, was in Ihrem Haus vor sich geht.«
»Sind Sie ein Medium?« Leslie hörte den feindseligen Unterton in ihrer Stimme.
Claire schüttelte den Kopf.
»Nein«, antwortete sie in einem ganz sachlichen Tonfall, als wäre nichts Befremdliches an der Frage, »ich gehöre nicht zu den Leuten, die Kontakt mit dem Jenseits suchen. Ich beschäftige mich mit den Problemen
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