Die Hüter der Schatten
›Poltergeist‹-Phänomens …«
»Allmächtiger«, unterbrach Grantson sie. »Den Film habe ich mal im Spätprogramm gesehen! Sie wollen mir doch nicht weismachen …«
»Nein, nein«, warf Leslie rasch ein und verfluchte Stephen Spielberg und alle anderen Regisseure von Horrorfilmen aus tiefstem Herzen. »Wir sind nicht mal katholisch«, fuhr Grantson fort, »aber ich kenne einen Priester. Meinen Sie …«
»Nein. Unternehmen Sie vorerst nichts, Mr. Grantson.« Leslie warf einen kurzen Blick auf ihren Terminkalender. »Schicken Sie mir Eileen um … vier Uhr nachmittags vorbei, nach der Schule. Wenn Sie wollen, können Sie mitkommen. Allerdings würde ich dieses Mal lieber allein mit Ihrer Tochter sprechen. Und verfallen Sie nicht in Panik. Diese Phänomene sind weit verbreiteter, als Sie vielleicht glauben, und fast immer relativ kurzlebig. Für gewöhnlich verschwinden die Erscheinungen von ganz allein.« Es sei denn, der Poltergeist legt Feuer. Aber das geschieht sehr selten. Leslie betete, daß es nicht soweit kam.
»Sie haben leicht reden«, erwiderte Grantson. Er klang leicht beleidigt, was Leslie ihm nicht verdenken konnte. »Aber ich stehe hier inmitten von Glasscherben, die ich auffegen muß, und meine Haushälterin hat gekündigt. Was soll ich denn jetzt tun? Ich habe Eileen gesagt, sie müsse eine Zeitlang die Hausarbeit selbst erledigen und ihren Dreck allein wegfegen. Ich habe sie noch nie verprügelt, aber jetzt hätte ich nicht übel Lust, sie grün und blau zu schlagen, verdammt noch mal!«
»Das wäre äußerst unklug«, entgegnete Leslie so streng sie konnte. »Ich verstehe, wie ärgerlich Sie sind, Mr. Grantson, aber glauben Sie mir, körperliche Gewalt ist wirklich keine Lösung. Eileen tut das nicht mit Absicht. Wenn Sie eine neue Haushälterin einstellen würden, die sich Eileen gegenüber nicht so feindselig verhält, so daß das Mädchen sich nicht bedroht fühlt … Soviel ich weiß, ist Ihre frühere Wirtschafterin nicht gerade nett zu Eileen gewesen, und …«
»Das ist auch nicht die Aufgabe der Frau«, entgegnete Grantson. »Ich bezahle sie dafür, daß sie putzt und kocht!«
»Nun ja, Eileens Unzufriedenheit rührt zumindest teilweise aus ihrer gespannten Beziehung zur Haushälterin«, meinte Leslie. »Ich werde mit Eileen sprechen und versuchen, eine gemeinsame Sitzung zu vereinbaren, in der Sie beide über Ihre Probleme diskutieren können.«
»Ich will nicht über Eileens Probleme diskutieren«, entgegnete Grantson zornig, Leslies Tonfall imitierend. »Sorgen Sie lieber dafür, daß meine Tochter mein Haus nicht mehr in eine Hölle auf Erden verwandelt. Sorgen Sie dafür, daß das Kind wieder normal wird. Dafür bezahle ich Sie schließlich!«
»Dann sollten wir uns einmal zusammensetzen und über die Ziele von Eileens Therapie reden«, erwiderte Leslie kühl. »Ich habe den Eindruck, Sie sollten einmal darüber nachdenken, ob Sie Eileen nicht auf ein gutes Internat schicken. Die Kosten wären nicht viel höher als die einer Langzeittherapie.«
Am anderen Ende der Leitung trat schockiertes Schweigen ein. »Hören Sie, Dr. Barnes«, sagte Grantson dann bedächtig, »Sie haben mich falsch verstanden. Ich will das Kind doch nicht loswerden! Meinen Sie wirklich, das alles liegt daran, daß die Haushälterin unfreundlich zu Eileen war und das Mädchen glaubt, es sei meine Schuld? Ich weiß ja, daß Eileen es schwer mit mir hat. Seit Ruthie uns verlassen hat, bin ich sehr gereizt. Ich arbeite fast nur noch, komme nach Hause, schreie das Kind an, esse und gehe schlafen. Eine besonders gute Mutter war Ruthie nicht, aber wahrscheinlich vermißt Eileen sie. Aber Ruthie war eine verdammte Lügnerin, und ich kann einfach nicht mit ansehen, daß Eileen in dieselbe Richtung schlägt …«
»Das Mädchen sagt die Wahrheit«, widersprach Leslie. »Das müssen Sie endlich begreifen. Auf der bewußten Ebene hat sie nichts damit zu tun.«
»Sind Sie sicher? Du lieber Himmel, das ist ja richtig gruselig«, sagte Donald Grantson, und Leslie mußte ihn von neuem beruhigen. Ich wünschte, jemand würde mir einmal gut zureden! So langsam gerate ich ins Schwimmen. Sie erklärte sich bereit, mit Eileen zu reden und für einen späteren Zeitpunkt eine gemeinsame Sitzung mit ihrem Vater anzusetzen.
Kaum hatte sie aufgelegt, läutete das Telefon wieder.
»Leslie Barnes.«
»Du bist zu beliebt, meine Teure«, meldete sich Simons rauchige Stimme. »Ich habe versucht, dich anzurufen, aber es
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