Die Hüter der Schatten

dieser Existenz. Ich würde mich eher als Parapsychologin bezeichnen. Ich verfüge über einige Erfahrungen; ich weiß aber nicht, ob ich mit Gewißheit herausfinden kann, was Ihr Problem ist. Aber ich kenne das Haus und könnte es versuchen.«
    Leslie holte Geld hervor, um die Bücher zu bezahlen. »Schon gut, Dr. Barnes«, sagte Colin. »Sie können die Bücher gern mit nach Hause nehmen, sie lesen und zurückgeben, wann immer Sie möchten. Sicher, wir verkaufen Bücher. Aber es ist auch unser Grundsatz, niemandem Hilfe zu verweigern, nur weil er nicht dafür bezahlen kann. Die Bücher vor der Tür«, fügte er schmunzelnd hinzu, »stellen wir in der Hoffnung nach draußen, daß die Leute sie stehlen. Wir sind immer angenehm überrascht, wenn jemand hereinkommt und uns einen Vierteldollar dafür gibt.«
    Leslie fiel in sein Lachen ein, erklärte dann aber, daß sie sich die Bücher durchaus leisten könne, und bezahlte auch gleich. »Und wenn Sie wirklich vorbeikommen und sich das Haus ansehen möchten, Claire«, sagte sie, »würde ich mich sehr freuen. Ich wäre Ihnen wirklich dankbar.«
    »Schön, dann bin ich gegen halb sechs bei Ihnen«, gab Claire zurück.
    Leslie verließ den Laden mit dem Gefühl, vielleicht doch Hilfe gefunden zu haben.
    Zu Hause angekommen, setzte sie sich in ihr Arbeitszimmer und schlug das Buch auf, auf dem zwei Namen standen: der Name der Frau, der einst ihr Haus gehört hatte, und der des Mannes, in dessen Armen sie die vergangene Nacht verbracht hatte.
     
    … Wenn das Unbekannte und Unbegreifliche in das Leben eines Mannes oder einer Frau tritt, deren Welt zuvor von den gewöhnlichen Gesetzen des materiellen Universums regiert wurde, besteht die erste emotionale Reaktion unweigerlich in Verwirrung und Bestürzung. Die Gesetze der alten Welt scheinen aufgehoben, und die Mechanismen der neuen, aber unbestreitbar realen Erfahrungen sind noch unbekannt. Mit einem Mal kommt die Welt ihnen chaotisch vor, ohne erkennbaren Zusammenhang von Ursache und Wirkung. Doch wenn sie sich der disziplinierten Suche nach der Wahrheit verschreiben, werden sie entdecken, daß auch die neue Welt von Gesetzen regiert wird, die ebenso natürlich und durchschaubar sind wie die der alten, nur daß sie zu einer neuen Ebene der Erfahrung gehören …
     
    Eine neue Ebene der Erfahrung. Angesichts dieser sachlichen, rationalen Einschätzung dessen, was ihr geschehen war, stieß Leslie einen tiefen Seufzer der Erleichterung aus. Sie machte sich daran, soviel wie möglich über die Naturgeschichte des Poltergeists zu lesen, ehe Eileen Grantson erschien.
     
    »So lange ist alles gutgegangen«, jammerte Eileen. »Ich hatte Spaß mit Scotty und bin in der Schule prima klargekommen. Und nun das …« Sie konnte ihr Schluchzen nicht unterdrücken. »Dad behauptet, ich hätte den Fernseher eingetreten, aber ich schwöre, ich war’s nicht. Ich stand nicht mal in der Nähe, sondern auf der anderen Seite des Zimmers! Und dann sind alle Glühbirnen zerknallt, und Dad mußte im ganzen Haus den Strom abstellen und sie einzeln aus den Fassungen drehen …«
    »Ist durch die umherfliegenden Glassplitter jemand verletzt worden, Eileen?« fragte Leslie ruhig.
    Das Mädchen schüttelte den Kopf. »Ich hatte Angst davor, aber es ist nichts passiert. Aber die alte Mattison hat gekündigt. Sagte, sie wollte nicht länger in einem Haus arbeiten, wo man mit Sachen nach ihr wirft. Und Daddy hat gesagt, jetzt müßte ich den Haushalt machen und …«
    »Ich habe mit deinem Vater gesprochen, Eileen«, unterbrach Leslie sie. »Er ist bereit, hierherzukommen und mit dir und mir über solche Probleme zu sprechen. Wir können einen Termin machen. Wie wär’s? Übrigens, heute habe ich mich mit einem Mann unterhalten, der sich gut mit Poltergeistern auskennt. Er hat mir gesagt, daß sie immer von allein wieder verschwinden. Außerdem habe ich etwas gelesen, das du wissen solltest … es stand in dem Buch von einer Frau, die ihr ganzes Leben der Untersuchung solcher Phänomene gewidmet hat. Wenn es nach einer langen Pause, wenn man schon glaubt, alles wäre vorüber, zu einem solchen Ausbruch kommt, wie du ihn erlebt hast, schreibt diese Frau, ist es sozusagen das letzte Aufbäumen des Poltergeists, kurz bevor das Kind in dir, wie ich es genannt habe, zur Ruhe kommt. Gerade die Heftigkeit ist ein Zeichen dafür, daß es kurz vor dem Verschwinden steht. Hast du eine Ahnung, was diesen Gewaltausbruch verursacht haben könnte, Eileen?«
    Das