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Die Hüter der Schatten

Die Hüter der Schatten

Titel: Die Hüter der Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marion Zimmer-Bradley
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Forschungen über Poltergeister mitgenommen. Zu jener Zeit habe ich mich als eine Art Universalgenie auf einem halben Dutzend Gebieten betrachtet: Pianist, Komponist, Dirigent, Autor, Parapsychologe … aber dann hat mich die Faszination der Bühne nicht mehr losgelassen.« Er lächelte Emily zu. »Jeder, den es zur Bühne zieht, ist süchtig nach Applaus, und das können Menschen wie Colin einfach nicht begreifen. Wenn man dieses besondere Hochgefühl erst einmal kennengelernt hat, erscheint alles andere fade, gewöhnlich und leblos. Man erwacht nur richtig, wenn man vor Publikum steht, und alles andere, Menschen und Dinge, versinken im Zuschauerraum. Das Spiel wird zum Leben selbst.« Simon schob Leslie in die Loge. Ein kurzer, gedämpfter Glockenton bedeutete den Zuhörern, auf ihre Plätze zurückzukehren. Als Emily ihnen den Rücken zuwandte, gab Simon Leslie einen schnellen Kuß.
    »Wir sehen uns nach dem Konzert im Grünen Salon. Ich sage dem Türsteher eure Namen.«
     
    Inzwischen kannte Leslie die Hochstimmung, die Simon nach einem Konzert überkam. Er wurde von Bewunderern bedrängt, die um Autogramme baten, und Journalisten hielten ihm Mikrofone entgegen, doch Simon verabschiedete sich rasch und kam lachend zu Leslie.
    »Laß uns Emily mit dem Taxi nach Hause schicken … und dann fahren wir zu mir!«
    Leslie holte tief Luft. Ihr wurde klar, daß sie sich bis zu diesem Augenblick nicht sicher gewesen war, ob Simon nicht kürzlich aus einem Impuls heraus die Nacht mit ihr verbracht hatte, als einmaliges Gastspiel. Doch es war offenbar viel mehr als das.
    Ich glaube immer noch, er hat mich verzaubert. Aber vielleicht beruht das Gefühl ja auf Gegenseitigkeit. Gibt es etwa auch bei der körperlichen Anziehung keine Zufälle?
     
    Obwohl der kleine Altar in rituellem Ernst über sie wachte, scherzten und lachten Leslie und Simon im Bett, nachdem sie sich ausgiebig und zärtlich geliebt hatten. Sie schliefen erst ein, als die Sonne aufging.
    Leslie hatte nie an die › wahre Liebe‹ geglaubt, und erst recht nicht an die romantische Vorstellung von Liebe. Außerdem war sie durch ihre Ausbildung als Psychologin skeptisch geworden. War die Liebe nicht bloß eine Phantasie törichter Frauen? Sentimentaler Unsinn, mit dem sie versuchten, ihre sexuellen Begierden zu rechtfertigen? Oder war die Liebe gar eine von der Industrie forcierte Erfindung, um eben diese dummen Frauen auszubeuten und ihnen Schundromane, Make-up und Parfüm anzudrehen?
    Noch nie hatte Leslie etwas gefühlt, das ihren Empfindungen für Simon gleichkam. Sie hatte Joel gern gehabt. Sie hatten sich im Bett gut verstanden, und Leslie hatte es genossen, mit ihm tanzen zu gehen, mit ihm zusammenzusein. Nie hatte sie die zynische Definition akzeptiert, die sie einmal in einem Roman gelesen hatte: Liebe ist Freundschaft plus Sex. Aber als sie jetzt hellwach neben Simon lag, wurde ihr eines klar: Obwohl der Begriff so häufig mißbraucht wurde, existierte die Liebe doch – und hatte Besitz von ihr ergriffen. Die körperliche Anziehung gehörte dazu, war ein wichtiger Teil davon; aber dieses Gefühl umfaßte zugleich weniger und mehr als das.
    Simon stöhnte im Schlaf. Schon vorhin, während sie sich liebten, hatte ihn einer der schrecklichen Anfälle überfallen, und sie hatte Simon in den Armen gehalten, bis der Schmerz abgeklungen war. Auch jetzt umschlang Leslie ihn. Er wachte auf und warf aus seinem gesunden Auge wirre Blicke um sich, in denen Angst und Entsetzen standen. Dann erkannte er Leslie und klammerte sich in plötzlicher Erleichterung an sie.
    Danach lagen sie ruhig nebeneinander. »Ich habe Gerüchte gehört, daß es in Alisons Haus nicht ganz geheuer ist«, sagte Simon nach einer Weile nachdenklich. »Manchmal frage ich mich, ob nicht vielleicht ich dort umgehe.«
    »Ich weiß nicht, was du damit meinst, Simon«, gab Leslie zurück und schmiegte sich zärtlich an ihn.
    »Als ich im Krankenhaus lag, mit Medikamenten betäubt und von Schmerzen geschüttelt … ich glaube, da hat ein Teil von mir das Haus aufgesucht, in dem ich mich einst so behütet und glücklich gefühlt habe. Damals dachte ich nicht daran, daß mein Erscheinen dort andere Menschen verängstigen könnte. Aber natürlich ist das bei Leuten, die nichts von solchen Dingen verstehen, ganz unvermeidlich.«
    Erklärte dies endlich alles, was Leslie so viele Rätsel aufgegeben hatte? »Das scheint mir durchaus möglich, Simon. In der Nacht nach dem Vorspieltermin …« Sie

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