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Die Hüter der Schatten

Die Hüter der Schatten

Titel: Die Hüter der Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marion Zimmer-Bradley
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Unfall, der auf so tragische Weise seine Bühnenkarriere beendet hat, ja auch etwas Gutes. Die Welt hat zwar einen großen Konzertpianisten verloren, aber einen ebenso bedeutenden Dirigenten und Lehrer gewonnen. Das Werk eines Bühnenkünstlers stirbt mit ihm; aber der Lehrer lebt in seinen Schülern weiter, und große Dirigenten haben ganze Musikgenerationen geprägt.«
    »Wenn ich Sie wäre, würde ich so etwas nicht vor Simon wiederholen!« stieß Emily empört hervor.
    »Eine solche Taktlosigkeit liegt mir fern«, erklärte Colin. »Aber wer kann schon wissen, welcher Zweck in allen Dingen liegt? Ich glaube nicht, daß es im Kosmos Zufälle gibt. Und Alison Margrave hat nun einmal Simon aus ihren Schülern auserwählt. Er wird sich dieses Umstands ebenso bewußt sein, wie Alison es war.«
    »Da kommt Simon«, sagte Claire. Mit ein paar Gläsern Champagner auf einem Papptablett kam er auf die anderen zu. Leslie sah, daß er einen Moment stehenblieb, und hatte das Gefühl, ihr Herz würde aussetzen. Bekam Simon wieder einen dieser furchtbaren Krämpfe, die ihn fast bewegungsunfähig machten? Und was geschah, wenn er einen solchen Anfall erlitt, während er am Dirigentenpult stand?
    Dann aber trat Simon auf sie zu und reichte das Tablett, das er in der Linken trug, zuerst Emily und dann Leslie.
    »Ein mäßiger Jahrgang«, erklärte er lächelnd, »aber wenigstens kühl und feucht. Hallo, Claire«, fügte er mit einem leichten Kopfnicken hinzu, das irgendwie den Eindruck einer Verneigung erweckte. »Hallo, Colin. Ich hatte ganz vergessen, daß ihr Musikliebhaber seid. Oder …«, seine Züge wurden steinern, »seid ihr gekommen, um euch an meiner Behinderung zu weiden?«
    Blitzschnell huschte Leslie das Bild eines hingeschleuderten Fehdehandschuhs durch den Kopf. Doch Colin schaute Simon nur freundlich an und verweigerte die Herausforderung, und Claire meinte sanft: »Es freut mich sehr, dich am Dirigentenpult zu sehen, Simon. Ich war schon immer der Meinung, daß dort eine deiner großen Begabungen liegt.«
    »Das hast du schon nach meinem Unfall gesagt«, erwiderte Simon mit bedrohlich leiser Stimme. »Aber du solltest mich nicht zu schnell verloren geben, Claire. Ich teile nämlich ganz und gar nicht deine Überzeugung, daß man sich einem angeblichen göttlichen Willen beugen und sich mit dem Zweitbesten zufriedengeben soll. Du wirst mich wieder auf der Konzertbühne sehen, und ich hoffe, daß du an dem Abend in der allerersten Reihe sitzt und deine Niederlage eingestehst.« Er lächelte. »Gerade du solltest die Kraft eines ausgebildeten Willens kennen.« Er hob das Glas an die Lippen, zögerte dann und ließ es an Emilys Sektkelch klingen. »Wollen wir darauf anstoßen?«
    »Sollte dieser Tag jemals kommen«, meinte Claire, »bin ich die erste, die dir Beifall spendet. Warum glaubst du mir nicht, daß ich dir nur das Beste wünsche? Ich habe dich nur um deiner selbst willen vor gewissen Methoden gewarnt …«
    »Ehe du meine Arbeitsweise verurteilst, solltest du erst einmal eine Zeitlang in meiner Haut stecken, Claire!« rief Simon aus. »Verliere erst einmal dein Augenlicht und die Möglichkeit, deinen Lebensunterhalt zu bestreiten. Dann wollen wir mal sehen, ob du immer noch solchen altbackenen Unsinn redest!«
    »Am Hungertuch scheinst du mir nicht zu nagen, Simon. Aber geht es dem Auge wirklich so schlecht? Das tut mir aufrichtig leid. Ich dachte, die Ärzte hätten Hoffnung, die Sehkraft zu retten …«
    »So ist es«, sagte Simon. »Aber sicher sind sie immer noch nicht …«
    »Du weißt, daß meine Gebete stets mit dir sind«, sagte Colin mit ruhiger Stimme. »Ich kenne dich seit deiner Kindheit, Simon. Gott weiß, wenn ich könnte, würde ich dir meine eigenen Hände schenken.«
    »So was läßt sich leicht sagen«, meinte Simon. »Wenn ihr mich jetzt bitte entschuldigt. Ich habe Gäste.« Wieder verneigte er sich. »Au revoir. Komm, Leslie …«
    Sie gingen in Richtung Loge davon.
    »Ich wußte gar nicht, daß du die beiden kennst«, sagte Simon, als sie ein paar Schritte gegangen waren.
    »Ich bin ihnen im Laden begegnet. Claire hat mir das Buch gegeben, das du zusammen mit Alison verfaßt hast. Ich hatte keine Ahnung, daß du so viele Talente besitzt, Simon.«
    Er lächelte und legte die gesunde Hand auf die ihre. »Ach, meine Jugendsünden. Das Buch haben wir geschrieben, als ich gerade zwanzig war. Damals lebte Colin in New York und leitete einen kleinen Verlag, und Alison hat mich zu ihren

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