Die Hüter der Schatten
den Geist einer Katze zu schützen, kommt mir vor, wie mit Kanonen auf Spatzen zu schießen. Es sei denn, die Erscheinung hätte jemanden erschreckt.«
Leslie schüttelte den Kopf. Ihr wurde leicht schwindlig dabei, Claire so selbstverständlich über körperlose Katzen sprechen zu hören.
»Ich glaube, diese weiße Katze hat ein schlimmes Ende gefunden«, sagte sie, während sie Claire nach unten und am Musikzimmer vorbeiführte. Emily spielte jetzt die »Troika« aus Mussorgskis Bilder einer Ausstellung. »Sowohl Emily als auch ich glaubten, wir hätten die Katze in ihrem Blut liegen gesehen. Emily kam sogar ins Haus gelaufen, um den Erste-Hilfe-Kasten zu holen. Aber da war die Katze verschwunden. Sie hatte nicht einmal Blutspuren auf dem Boden hinterlassen.«
»Nun ja, wenn das Tier überfahren wurde, ist es vielleicht im Geist an einen Ort zurückgekehrt, wo es sich im Leben sicher gefühlt hat«, meinte Claire zerstreut, während sie sich der Tür zur Garage näherte. »Betty Carmody hat steif und fest behauptet, im Atelier sei irgend etwas Grauenhaftes, aber sie ist nicht mehr dazu gekommen, mich um Hilfe zu bitten. Ich glaube aber auch nicht, daß Betty die richtige Person für das Haus gewesen wäre. Verstehen Sie«, fügte die ältere Frau hinzu, »Alison hatte keinen Nachfolger ausgebildet, und dazu ist jeder Mensch, der so weit auf dem Pfad fortgeschritten ist wie sie, eigentlich verpflichtet. Natürlich hatte sie damit begonnen, aber dann entdeckte sie, daß die Person, die sie sich zum Erben erwählt hatte, nicht vertrauenswürdig war. Und ehe sie eine neue Wahl treffen konnte, ist sie gestorben.« Claire trat in die umgebaute Garage und fuhr dann zurück, als hätte sie einen Schlag ins Gesicht erhalten.
»Sie haben recht, hier stimmt wirklich etwas nicht«, erklärte sie mit distanzierter, reservierter Stimme. »Ich weiß nicht, was es ist. Aber es ist schrecklich … grauenhaft!«
»Emily und ich«, fiel Leslie ein, »haben einen fürchterlichen Gestank bemerkt. Dem Makler und meinem ehemaligen Verlobten ist er auch aufgefallen. Wir dachten an ein verstopftes Abflußrohr. Oder daß die Katze in dem Raum war und ihn beschmutzt hat.«
»Das hier ist schlimmer als ein verstopfter Abfluß«, sagte Claire. Sie war kreidebleich geworden. »Ich spüre … Schmerz. Schlimmer noch, Angst. Nein, das trifft es nicht. Ich spüre blankes Entsetzen.« Sie verzog das Gesicht und stürmte in den Garten.
»Tut mir leid«, entschuldigte sie sich mit schwacher Stimme bei Leslie, die ihr gefolgt war. »Wäre ich noch einen Moment dort drinnen geblieben, hätte ich mich erbrechen müssen.«
Als die beiden Frauen wieder in der Küche saßen, erzählte Claire weiter. »Wie ich Ihnen schon sagte, ist Alison gestorben, ohne einen Nachfolger zu bestimmen. Sie hatte sich darangemacht, jemanden auszubilden, entdeckte dann aber, daß der Betreffende Schwarze Magie praktizierte.«
Bruchstücke eines im Buchladen zufällig mitgehörten Gesprächs drängten sich in Leslies Gedanken. »Sie reden nicht zufällig von Simon Anstey?« fragte sie in eisigem Tonfall.
»Kennen Sie ihn?«
»Allerdings. Er ist sehr freundlich zu Emily und mir gewesen«, sagte Leslie.
Claire schaute sie beunruhigt an. »Früher habe ich Simon sehr gemocht«, meinte sie, »und nach seinem Unfall haben wir alle für seine Genesung gebetet. Wirklich eine Tragödie. Aber Experimente mit der Schwarzen Kunst sind durch nichts zu rechtfertigen. Für meinen Geschmack hat Simon sich schon immer ein wenig zu … zu sehr für den Pfad zur Linken interessiert. Er war zu neugierig. Und schließlich hat er sich auf die andere Seite geschlagen.«
»Ich bitte Sie, Claire«, sagte Leslie ungläubig. »Sie hören sich an, als würden Sie von Darth Vader reden – die dunkle Seite der Macht! Das kann doch nicht Ihr Ernst sein!«
»Ich hoffe, Sie werden nie erfahren, wie ernst ich das meine«, erwiderte Claire. »Was glauben Sie, woher die Idee mit der dunklen Seite der Macht ursprünglich stammt? Diese Kräfte sind durchaus real und sehr gefährlich. Selbst wenn Sie nicht an die Magie glauben, können Sie doch nicht abstreiten, daß die Macht der Gedanken existiert. Wenn positives Denken Genesungsprozesse oder das Wachstum von Pflanzen beeinflussen kann – was glauben Sie dann, was negatives Denken anrichtet? Ich sage Ihnen ganz offen, daß ich Simon Anstey nicht traue. Ich glaube, sein Unfall hat ihn aus der Bahn geworfen. Ich halte ihn für einen sehr
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