Die Hüter der Schatten
zukommt.
Aber so schlimm?
Hände glitten über ihren Körper, hart und fordernd, und erzeugten einen heftigen, brennenden Schmerz. Nicht Finger oder Nägel kniffen und zerrten an ihren Brüsten, nein, es war etwas aus Metall, eine Zange vielleicht. Ein vernichtender Schmerz durchzuckte sie. Nein, nein, so weit gehe ich nicht. Aber der Knebel saß fester, als sie geahnt hatte. Für gewöhnlich hatte sie ihre Tricks, damit er lockerer saß, als ihre Kunden glaubten … für den Fall, daß jemand zu brutal vorging. Sie spürte, wie Blut aus ihren Brustwarzen tropfte. Die Stricke, mit denen sie gefesselt war, zogen ihre Schenkel auseinander. Sie spürte, wie jemand glitschiges Öl auf ihr Geschlecht tropfte. Verzweifelt zappelnd blickte sie auf, obwohl sie wußte, daß es sich gegen sie auswirkte und den übersinnlichen Strudel nur nährte. In der elektrisch prickelnden Dunkelheit sah sie deutlich, wie er sich um sie herum aufbaute.
Ich habe gesagt, daß ich sterben wollte. Gott weiß, daß ich es oft genug versucht habe. Tabletten, der goldene Schuß damals … aber nicht so. Sie spürte den warmen Blutschwall, der sich über ihren nackten Leib ergoß, hörte den Todesschrei der Katze, und dann kam diese fürchterliche Hand, die ihre Genitalien betastete und mit dem Blut beschmierte. Etwas Unsichtbares, Kaltes, Entsetzliches, das kein normales männliches Organ war, drang in sie ein und zerfetzte ihr Fleisch.
Dann fühlte sie das Messer an ihrer Kehle. In einem Augenblick letzter Klarheit vor dem Tod blickte Leslie auf und starrte in Simons Gesicht.
Schreiend wachte sie auf.
Den ganzen Tag verfolgte und bedrückte der Traum sie. Es war absurd, ja obszön zu glauben, daß jeder Alptraum eine hellseherische Eingebung beinhalte. Nach einer solchen nächtlichen Störung waren böse Träume fast normal. Wahrscheinlich hatte Leslie sich das Ganze aus Claires Gefasel über Schwarze Magie – was immer das sein mochte –, Emilys Alptraum von Simons Unfall und Elementen aus irgendeinem Roman zusammengestrickt, den sie als Jugendliche aus Neugier gelesen hatte. Die Handlung schien direkt aus de Sades Schriften oder aus Mirbeaus Garten der Foltern zu stammen; und ihr Unterbewußtsein hatte die Szene dann freundlicherweise in ihre Garage verlegt und dem Hexenmeister Simons Gesicht verliehen.
Sie mußte sich um die Glasscherben in Emilys Zimmer und in der Garage kümmern. Es war eine Wohltat, sich mit etwas Faßbarem auseinanderzusetzen. Leslie fegte alles zusammen, wobei sie staunte, wie klein die Fragmente waren – die Scheiben waren weniger zerschlagen als vielmehr zermalmt worden.
Als die Läden öffneten, rief sie einen Glaser an. Sie sagte den Patienten ab, die sie am Vormittag erwartete, und erklärte ihnen, in ihrer Straße sei es zu einem kleinen Erdbeben oder sonst einer Erschütterung gekommen, und ihre Fenster seien beschädigt worden. Zum Glück kam der Glaser schnell. Jugendliche, die mit Steinen werfen, so etwas komme häufig vor, erzählte er ihr bei der Arbeit; sie solle ein Schloß an der Gartenpforte anbringen. Außerdem hätte sie es ihm überlassen sollen, die restlichen Splitter aus dem Fensterrahmen zu entfernen. Leslie war froh, daß der Mann das pulverisierte Glas nicht gesehen hatte.
Um halb sechs Uhr nachmittags beobachtete Leslie, wie Susan Hamilton ihre Tochter mühsam aus dem Wagen manövrierte. Christina war mager, und ihre Jeans schlotterten um den dürren Körper. Das strähnige braune Haar trug sie in der Mitte gescheitelt. Leslie hatte das Mädchen schon einmal gesehen. Damals, vor einem Jahr, hatte Chrissy fast noch wie jedes andere Kind ihres Alters ausgesehen. Inzwischen aber hatte sie einen unbeholfenen Gang entwickelt. Sie torkelte, ohne darauf zu achten, wohin sie die Füße setzte. Hektisch wandte sie den Kopf hin und her und starrte bald hierhin, bald dorthin. Susan hielt das Mädchen an einem Arm fest, doch Christinas andere Hand pendelte haltlos umher.
»Komm, Chrissy, sei ein braves Mädchen. Es tut mir leid, Leslie, aber ich konnte einfach keinen Babysitter bekommen. Sie kann im Flur sitzen. Sie wird niemanden stören.«
Susan sollte sich während ihrer Therapiestunde nicht um ihr Kind zu sorgen brauchen. »Sie kann in den Garten gehen. Dort kann sie nichts anrichten und sich nicht verletzen, außer sich vielleicht an einem Dorn stechen …«
»Chrissy wird nichts anfassen. Ich habe noch nie gesehen, wie sie etwas Lebendes anrührt, nicht mal die Topfpflanzen in der
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