Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Hüter der Schatten

Die Hüter der Schatten

Titel: Die Hüter der Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marion Zimmer-Bradley
Vom Netzwerk:
und neuer Verzweiflung zerstörte sie allmählich.
    »Was immer Sie tun, Susan, Sie dürfen sich nicht zu einer Entscheidung zwingen lassen, ehe Sie wissen, was gut für Sie und Chrissy ist.« Es war der einzige Rat, den Leslie ihr geben konnte, und sie hatte ihn schon häufig erteilt.
    Nach Ende der Sitzung ging sie mit Susan in den Garten, um ihre Tochter zu holen. Pullover und Jeans des Mädchens waren schmutzverschmiert, aber sie kniete offenbar unversehrt im Gras und spielte mit kleinen Steinen. Susan bemühte sich, Christina hochzuheben und gegen ihren Widerstand zum Wagen zu zerren. Das Kind machte sich schlaff und rutschte immer wieder aus dem Griff seiner Mutter, als besäße es Knochen aus Gummi. Simon trat aus der Garage. Leslie bemerkte, daß er einen Moment stehenblieb und den Kampf beobachtete. Susan schaute auf, erblickte den hochgewachsenen, elegant gekleideten Mann, der sie anschaute, und errötete. Endlich gelang es ihr, Christina hochzuheben und den Weg hinunterzutragen.
    Leslie hielt ihr das Gartentor auf, und Susan setzte das Kind ab. Jetzt ging es gehorsam zum Wagen, und Leslie eilte zu Simon zurück. Lächelnd zog er sie an sich, konnte aber immer noch nicht den Blick von Susan wenden, die sich bemühte, Christina ins Auto zu setzen und ihren immer wieder zusammensackenden Körper anzuschnallen. Susan knallte die Wagentür zu.
    Simon schüttelte den Kopf und wandte sich Leslie zu.
    »Na, mein Schatz. Hast du mich vermißt?« Er ging mit ihr ins Haus. Als die beiden in die Küche traten, ließ Emily ein Glas fallen und schrie auf.
    »Simon! Du lebst!« Sie warf sich in seine Arme und brach in Tränen aus.
    »Na, na, was soll denn das?« Er schob sie ein Stück von sich, um auf das Mädchen hinunterzublicken; dann streckte er den anderen Arm aus und zog sie ebenfalls an sich. »Ihr beiden habt mir auch gefehlt, aber warum brichst du bei meinem Anblick gleich in Tränen aus?«
    »Oh, es war schrecklich … Ich habe dich gesehen, blutüberströmt. Deine Hand war nur noch ein Fleischklumpen. Und dann ist die Fensterscheibe zersprungen und von ganz allein aus dem Rahmen gefallen.« Emily plapperte aufgeregt drauflos. »Ich war mir sicher, das bedeutet, daß du tot bist …«
    Mit seiner gesunden Hand strich Simon dem Mädchen zärtlich übers Haar.
    »Ich bin am Leben und wohlauf, und es geht mir so gut wie seit langer Zeit nicht«, erklärte er.
    Plötzlich fiel Leslie etwas auf, und sie schrie gellend. »Simon, deine Augenklappe!« Zum erstenmal, seit sie ihn kannte, trug er statt der Klappe eine Brille. Das verletzte Auge war hinter einem dicken Glas nur verschwommen zu erkennen. Simon ließ Emily los, tätschelte ihr ein letztes Mal kurz den Kopf und zog dann Leslie zu einem langen, zärtlichen Kuß an sich. Er fühlte sich warm und sehr lebendig an. Seine behandschuhte Hand legte sich auf ihr Kreuz und drückte sie an seinen Körper, so daß sie seine wachsende Erregung spürte.
    »Stört die Brille mein romantisches Äußeres, Liebste?«
    »Nein. Aber was hat das …?«
    »Es bedeutet, daß ich tatsächlich irgendwann auf diesem Auge sehen kann. Die Sehkraft wird nicht vollständig wiederkehren, höchstens zur Hälfte. Aber wenn man bedenkt, daß die Ärzte mir zuerst nicht einmal versprechen konnten, je wieder Hell und Dunkel unterscheiden zu können, kommt es mir wie ein Wunder vor.«
    »Oh, Simon, das ist ja phantastisch!«
    »Aber ein Wunder ist es nicht. Für einen ausgebildeten Willen ist nichts unmöglich.« Zögernd ließ er sie los. »Jetzt erzählt mir mal, was dieses Jammern und Klagen zu bedeuten hat. Ich lebe, fühle mich wohl und bin froh, daß ich wieder zu Hause bin. Warum, in aller Welt, sollte es anders sein?«
    Also denkt er von diesem Haus als ›seinem Heim‹. Zum erstenmal wünschte Leslie sich beinahe, in der Lage zu sein, eine Ehe einzugehen. Sie fühlte, daß Simon ihr einen Antrag machen würde, wenn sie wollte. Jetzt begriff sie, was ihre Mutter gemeint hatte. Wenn eine Frau ihre Karten richtig ausspielt, kann sie fast jeden Mann dazu bringen, sie zu heiraten. Aber Leslie hielt nicht das geringste von solchen weiblichen Listen … oder?
    Emily war gerade dabei, Simon in allen blutrünstigen Einzelheiten bis hin zu den Glasscherben von ihrer Vision zu berichten. Leslie dagegen behielt ihren obszönen Alptraum für sich. Dazu war Simon, der sie und Emily lächelnd in den Armen hielt, zu warm und real. Und sie liebte ihn zu sehr.
    »Ich bin kurz vorm Verhungern,

Weitere Kostenlose Bücher