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Die Hüter der Schatten

Die Hüter der Schatten

Titel: Die Hüter der Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marion Zimmer-Bradley
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überhaupt nicht unser Problem ist?« warf Emily ein. »Simon, erzähl uns von deiner Reise.«
    »Ich habe meinen Agenten nicht überzeugen können, für mein Comeback-Konzert die Carnegie Hall zu buchen«, erklärte Simon. »Er wollte eindeutigere Gutachten von meinen Ärzten sehen.« Leslie verstand sich inzwischen recht gut darauf, Simons Gefühle zu erraten, selbst wenn seine Miene ausdruckslos schien. Da waren kleine Zeichen: ein Zucken an seinem Kiefer, oder eine der Linien, die von seiner Nase zum Mund verlief, wurde weiß. Simon war zornig.
    »Wahrscheinlich dauert alles seine Zeit«, meinte Leslie unverfänglich. »Soll ich die Crepes auftischen, Simon, oder möchtest du?«
    »Ich werde die Honneurs machen.« Dampfend heiß, mit der duftenden Erdbeersauce überzogen, glitten die Crepes auf Teller. Emily kostete ihres und rümpfte die Nase.
    »Uahh. Tut mir leid, Simon, aber ich finde sie ohne den Grand Marnier besser. Igitt, Alkohol. Wer braucht schon so was?«
    Über Emilys Kopf hinweg warf Simon Leslie ein Lächeln zu.
    »Ich wollte sagen, das ist sehr nett, Simon«, verbesserte sich das Mädchen, »aber an den Geschmack muß man sich gewöhnen. Erzähl mir, wie das mit deinem Agenten war. Der Mistkerl hat sich geweigert, die Carnegie Hall für dich zu buchen? Dann schick ihn doch zum Teufel, schließlich gibt es noch andere Manager!«
    »Lieber würde ich ihm beweisen, daß er sich irrt«, entgegnete Simon. »Es stimmt schon, daß die Empfindungsfähigkeit meiner Hand nicht in dem Maße zurückkehrt, wie ich mir erhofft hatte. Aber ich arbeite jetzt mit einer neuen Technik. Selbsthypnose.«
    »Ich dachte, das wäre alles Schwindel«, meinte Emily, nahm noch einen vorsichtigen Bissen von ihrem Crepe und schob dann ihren Teller beiseite.
    »Nein, genausowenig wie das Biofeedback. Durch Hypnose kann ich vielleicht die Ängste und Hemmungen überwinden, die es mir unmöglich machen, das volle Potential meiner Hand auszunutzen«, erklärte Simon. »Denn ich habe dieselbe Gehirnwäsche erfahren wie jeder Mensch, der in einer materialistischen Gesellschaft aufgewachsen ist, so daß ich ihre Beschränkungen akzeptiere. Diese Technik könnte sich auch für dich als nützlich erweisen, Emily.«
    »Ich und Hypnose? Machst du Witze? Wozu soll das gut sein?«
    »Man hat diese Methode schon bei Tennisspielern angewandt«, setzte Simon ihr auseinander. »Jeder Mensch hält auf die eine oder andere Weise einen Teil seiner Kraft zurück. Durch Hypnose versetzt man sich in die Lage, aus dieser Reserve zu schöpfen, die dem bewußten Ich normalerweise nicht zugänglich ist. Manche Marathonläufer haben gelernt, sich beim Laufen in eine leichte Trance zu versetzen. Bedienst du dich in deiner Praxis manchmal der Hypnose, Leslie?«
    »Gelegentlich.« Ab und zu benutzte sie, wenn es einem Patienten zu schwer fiel, über ein Problem zu sprechen, eine leichte hypnotische Induktion, um den Schmerz beim erneuten Durchleben eines Traumas zu lindern. Als besonders nützlich hatte sich diese Methode bei Vergewaltigungsopfern erwiesen. Leslie wußte auch, daß Sportler damit experimentierten, aber sie wäre niemals darauf verfallen, daß Hypnosetechniken auch einem Bühnenkünstler von Nutzen sein könnten.
    Aber wollte sie wirklich zulassen, daß er Emily hypnotisierte?
    Unsinn. Wenn ich Simon nicht vertrauen kann, wem dann? Sie würde nicht erlauben, daß ein obszöner Alptraum ihre Liebe oder ihr Vertrauen zu ihm schmälerte.
     
    Später wohnte Leslie der ersten Hypnose-Sitzung bei, die ihre Befürchtungen zerstreute. Simon wies Emily an, sich in einen bequemen Sessel zu setzen und zu entspannen.
    »Nun versetz dich zurück in die Zeit, als du noch nie von einem Klavier gehört hast. Aber deine Finger behalten all ihr Können und ihr Geschick. Und jetzt richte deine ganze Aufmerksamkeit auf die Musik. «
    Simon legte eine Platte auf, und der leichte, zarte Klang von Alison Margraves Cembalo erfüllte den Raum; genau das leise Echo, das Leslie schon so oft vernommen hatte. Gänsehaut überzog ihre Unterarme. Als das Musikstück zu Ende war, sagte Simon ruhig: »Und jetzt geh mit deinem Können und Wissen ans Cembalo und spiele dieses Menuett, Emily. Spiel es, wie Bach selbst es gespielt hätte.«
    Emily trat an das Instrument, so vollkommen konzentriert, daß sie Leslies und Simons Anwesenheit gar nicht zu bemerken schien. Sie setzte sich, öffnete und schloß die Finger und begann zu spielen. Der Stil war unverkennbar der Emilys,

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