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Die Hüter der Schatten

Die Hüter der Schatten

Titel: Die Hüter der Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marion Zimmer-Bradley
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und doch klang es ganz anders, als Leslie es je von ihr gehört hatte. Sie schien die Tasten mit einer neuen Sensibilität anzuschlagen. Als Emily zu Ende gespielt hatte, legte sie die Hände in den Schoß und lächelte entrückt.
    »Jetzt wirst du aufwachen und dich an alles erinnern«, wies Simon sie an. »Und wenn du nächstes Mal das Cembalo spielst, wirst du dich an diesen Zustand erinnern. Jedesmal, wenn du dich vor das Instrument setzt, wirst du in der Lage sein, diesen Teil deines Bewußtseins zu erreichen. Nun werde ich bis fünf zählen, und wenn ich ›fünf‹ sage, wirst du erwachen und dich vollkommen erfrischt und entspannt fühlen. Eins, zwei …«
    Als Simon ›fünf‹ sagte, wandte Emily sich ihm prompt zu.
    »Ich war nicht hypnotisiert. Ich habe alles gehört, was du gesagt hast. Es war nur … plötzlich wußte ich, wie es klingen mußte und wie ich das erreiche.«
    Leslie hatte diesen Protest schon oft von ihren Patienten vernommen und lächelte nur.
    »Natürlich«, gab Simon zurück. »Ich habe dich nur gelehrt, deine Aufmerksamkeit auf einen bestimmten Teil deines Bewußtseins zu richten und deine Konzentration zu vertiefen. Leslie wird dir bestätigen, daß die populäre Vorstellung nicht stimmt, der Hypnotiseur programmiere jemand anderen wie einen Zombie. Jede Hypnose ist im Grunde eine Selbsthypnose. Ich habe dich nur gelehrt, Zugang zu dir selbst zu finden.«
    »Oh, danke, danke!« Das Mädchen stürmte zu ihm und umarmte ihn. »Simon, ich frage mich, ob das Cembalo mir nicht doch wichtiger ist als das Klavier!«
    »Auf die Beantwortung dieser Frage wirst du noch Jahre warten müssen, Schätzchen. Arbeite einfach weiter an dir«, erwiderte Simon und überließ Emily dem Instrument.
    »Leslie, was hältst du davon, wenn wir irgendwo etwas trinken gehen?«
    Sein durchdringender Blick verriet ihr, was er wirklich wollte.
    »Ich komme wahrscheinlich spät nach Hause, also warte nicht auf mich«, sagte sie zu Emily und ging ihren Mantel holen.
     
    Leslie erwachte in Simons Hochhauswohnung. Von Nebel umflossen, kam man sich dort wie auf der Brücke eines Schiffes vor, das durch den interstellaren Raum trieb. Als Leslie, in Simons Hausmantel gehüllt, hoch über dem Golden Gate mit ihm frühstückte, erschien ihr der obszöne Alptraum besonders absurd. Aber sie mußte ihn zur Sprache bringen; inzwischen war sie erfahren genug, um zu wissen, was es anrichten konnte, Ängste und Mißtrauen zurückzuhalten.
    »Was Claire mir da über Schwarze Magie erzählt hat, ist doch alles Unsinn, oder, Simon? Ich bin mir sicher, so etwas existiert nicht. Wovon also redet sie?«
    Simon schenkte ihr noch eine Tasse von dem ausgezeichneten Filterkaffee ein, den er in seiner Kaffeemaschine zubereitet hatte. »Sahne? Ja, ich versuche dich ein wenig zu mästen«, erklärte er. »Ich mag gut gepolsterte Frauen.« Dann lehnte er sich zurück. Mit der behandschuhten Hand drückte er automatisch den Übungsball, den er in der Tasche seines Hausmantels trug.
    »Die Frage der Schwarzen und Weißen Magie ist eine alte gelehrte Kontroverse«, begann er. »Ich und die Leute, die wie ich denken, stehen auf der einen Seite, und Colin und seine Freunde – ich fürchte auch Alison – auf der anderen. Es geht um den aus Urzeiten stammenden Gegensatz zwischen der Theurgie, die lehrt, daß die weniger bekannten Kräfte des menschlichen Geistes nur zu religiösen Zwecken eingesetzt werden dürfen, aber nicht für die eigenen Ziele, und der Thaumatologie, die keine solchen Einschränkungen akzeptiert. Menschen, die der Theurgie zuneigen – wie beispielsweise Colin –, betrachten jeden Versuch, diese Kräfte für persönliche Ziele einzusetzen, statt sie auf einer höheren Astralebene zu belassen, als Pfad zur Linken, das heißt, dem materiellen Universum angehörend. Kurz gesagt behaupten sie, der Magier, der tatsächlich etwas tut, statt alles Gottes Willen zu überlassen, sei ein Schwarzer Magier. Ein Weißer Magier studiert ihrer Ansicht nach diese Kräfte lediglich und versucht Wissen darüber zu erlangen, doch er unternimmt keinen Versuch, sie zu gebrauchen. Und dann schickt Colin – ich mag den Mann, aber er ist trotzdem ein frömmlerischer alter Versager – Claire in Alisons Haus, um Pentagramme als Schutzzeichen anzubringen, was gemäß seiner eigenen Definition einen Akt Schwarzer Magie darstellt. Glaubt er eigentlich, er könnte mich an der Nase herumführen?«
    Simon hob die Kaffeetasse an die Lippen und trank.

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