Die Hüter der Schatten
Platz wert wäre, den es im Haus einnimmt …«
Simon hielt inne, als er in einer Ecke des Zimmers Frodo erblickte, der neben einem kleinen Cembalo kniete. Das helle Holz sah neu aus, und das Instrument wirkte sorgfältig poliert und sehr gepflegt.
»Was soll denn das?«
Frodo richtete sich zu voller Größe auf. »Ich habe es gebaut und Emily geliehen. Tut mir leid, daß Ihres zerstört wurde, aber ich dachte, Emmie sollte ein Cembalo haben, auf dem sie üben kann.«
»Wage es bloß nicht, Frodo zu beleidigen, Simon«, schimpfte Emily. »Er hat meine Harfe hergerichtet, daß sie praktisch wie neu ist. Schau sie dir nur an! Du hättest sie vorher sehen sollen! Alle Saiten waren zerrissen …«
Mühsam brachte Simon seine Miene unter Kontrolle.
»Das war sehr freundlich von dir, Paul«, wandte er sich an Frodo, und Leslie erkannte, daß er sich alle Mühe gab, höflich zu bleiben. Er ging zu dem jungen Mann und beugte sich herunter, um das Instrument in Augenschein zu nehmen. »Ein Zuckermann? Aber nein, du hast das aus Fertigteilen selbst zusammengebaut, nicht wahr? Mein Kompliment für deine handwerklichen Fähigkeiten.«
»Ich bin sicher, eines Tages wird das Frederick-Cembalo in aller Munde sein!« Emily setzte sich vor das Instrument und ließ die Finger über die Tasten gleiten. Simon lächelte starr.
»Ich weiß, mit Miss Margraves antiken Stücken kann dieses Cembalo sich nicht messen«, meinte Frodo. »Aber so übel ist es nun auch nicht. Versuchen Sie doch selbst einmal, wie es klingt.«
Simon schüttelte den Kopf. Er hatte die Augen halb geschlossen, als schmerzten sie ihn, und barg seine behandschuhte Hand in der gesunden. »Das überlasse ich lieber Emily.« Er setzte sich auf die Klavierbank.
Emily begann Bach zu spielen. Leslie fiel auf, daß sie Simon nicht nach seiner Reise gefragt hatte. Ihre Schwester war auf sein Scheitern gefaßt gewesen. Sie hatte gewußt, daß er als Pianist noch nicht soweit war, sein eigenes Stück zu spielen. Und das allerschlimmste war, daß Simon nicht einmal verwundert über Emilys Schweigen zu sein schien.
»Du siehst schrecklich müde aus, Simon«, sagte Leslie, als Emily ihr Spiel beendet hatte. »Soll ich dir etwas zu essen machen?«
»Emmie und ich müssen uns beeilen«, sagte Frodo und sprang auf. »Wir sind bei meinen Eltern in Sausalito eingeladen.«
»Ich hatte ja keine Ahnung, daß du heute zurückkommst, Simon …«, meinte Emily betrübt, in der Erwartung, daß Simon jetzt verstimmt wäre, doch er tätschelte ihr nur die Wange.
»Geh nur und amüsiere dich. Und du, Paul, fahr vorsichtig!«
»Sie können ganz sicher sein, daß ich gut auf Emmie aufpasse, Dr. Anstey!«
Als der alte Lieferwagen davongefahren war, legte Simon die Arme um Leslie. »Endlich allein«, seufzte er. »Wahrscheinlich fühlen sich alle Eltern so, wenn sie die Kinder glücklich aus dem Hause haben.«
»Ich mache dir jetzt etwas zu essen …«, begann Leslie.
»Ich bin nicht hungrig, Schatz. Ich bin nur froh, zu Hause und bei dir zu sein. Was ich jetzt wirklich möchte …« Er beugte sich herunter, um Leslies Augenlider und ihre Lippen zu küssen, und führte sie dann zur Treppe.
Zum erstenmal würden sie sich unter diesem Dach lieben.
Es war sehr dunkel und still; eine der seltenen Nächte, in denen der Nebel nicht in die Bucht zog. Der leuchtende, fast kreisrunde Mond überzog den Himmel mit einem Hauch von opalisierendem, blassem Indigoblau. Simon verhielt einen Augenblick vor der rotglühenden Kerze auf Leslies Altar. Dann riß er das Fenster auf und betrachtete das Panorama der Stadt, die sich hell leuchtend unter ihnen erstreckte.
»Alison hat nie viel von Freud gehalten«, erklärte er und versuchte, unbekümmert zu klingen, »aber ich vermute, ein echter Freudianer würde sagen, Alison stelle für mich eine Muttergestalt dar. Und weil dies ihr Schlafzimmer war, sei ich natürlich unfähig, hier mit einer Frau …« Er verstummte, und rasch trat Leslie neben ihn ans Fenster. Sie konnte den niedergeschlagenen Beiklang in seiner Stimme nicht ertragen.
»Schatz, nach der langen Reise bist du erschöpft. Mach dir deswegen keine Gedanken.«
»Es tut mir leid, daß ich dich enttäuscht habe.«
»Unsinn, Liebster.« Sie umarmte ihn.
»Ich bin zu alt für dich«, meinte Simon düster. »Du bist eine junge und vitale Frau …«
Leslie konnte es nicht ertragen, daß er sich um ihretwillen derart in Selbstvorwürfen erging.
»Und du bist der Mann, den ich will, und
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