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Die Hüter der Schatten

Die Hüter der Schatten

Titel: Die Hüter der Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marion Zimmer-Bradley
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mitbringen müssen, aber das kleine Mädchen ging gehorsam in den Garten. Als seine Mutter es in einen Gartenstuhl aus Aluminium setzte, blieb es regungslos dort sitzen.
    »Wie ist es Chrissy diese Woche ergangen?«
    Susan schüttelte den Kopf. »Ich verliere wieder die Hoffnung. Kürzlich schien sie Fortschritte zu machen, aber in den letzten Tagen schaut sie mich nicht mal mehr an. Meine Schwester Margaret rät mir, ich sollte versuchen, einen Mann kennenzulernen. Aber wie wird ein Mann darauf reagieren, wenn er erfährt, daß ich ein geistig behindertes Kind habe? Als ich noch gesunde Kinder bekommen konnte, hätte ich vielleicht versuchen sollen, jemanden kennenzulernen …«
    Leslie lehnte sich zurück, schob der schluchzenden Susan eine Schachtel Kleenex hinüber und dachte über Simons Äußerung eben nach. Würde man dieser Frau nicht einen Gefallen tun, wenn man ihr dieses hoffnungslose, hilflose Kind wegnahm, damit sie sich ein neues Leben aufbauen konnte, ehe es zu spät war?
    Nachdem Susan gegangen war, fuhr Leslie mit Simon in dessen Wohnung, wo sie ihm beim Auspacken half und zuhörte, als er die Versicherungsgesellschaft anrief.
    »Unsere Ehre ist wiederhergestellt«, bemerkte er trocken, als er auflegte. »Ich kenne den Mann, der das Gutachten erstellt hat. Er hat anhand der Bruchstücke und der Mechanik das Alter des Instruments bestätigt. Haben diese Leute wirklich geglaubt, ich würde für lumpige fünfzehntausend Dollar einen Versicherungsbetrug begehen?«
    »Es gibt Menschen, die ihre Versicherung wegen ein paar hundert Dollar betrügen, Simon.«
    Achselzuckend tat er ihren Einwand ab. »Sollte ich jemals ein Verbrechen begehen, dann bestimmt nicht aus einem so jämmerlichen Motiv wie Geld«, erklärte er.
    Leslie lief es kalt über den Rücken, als ihr einfiel, was er ihr hier eines Nachts anvertraut hatte. Hatte sie sich jemals richtig damit auseinandergesetzt, daß der Mann, den sie liebte, selbst vor einem Mord nicht zurückschreckte? Daß er, wenn das alles stimmte, was er erzählt hatte – und wie sollte sie daran zweifeln, so gern sie es getan hätte –, einen Menschen getötet hatte, nicht kaltblütig, aber auch nicht im Affekt, sondern wohlüberlegt, zu seinem eigenen Nutzen …
    Simon setzte sich ans Klavier und zog bedächtig den Handschuh von seiner behinderten Hand. »Ich sollte mehr üben«, meinte er, während er die Finger mit seiner gesunden Hand knetete. »Ich darf mich von solchen Rückschlägen nicht derart entmutigen lassen.« Doch er stand wieder auf und schlenderte ruhelos zum Cembalo. »Ich habe Emily das Instrument angeboten und ihr gesagt, sie könne sich gern eines der Cembalos aussuchen, die noch eingelagert sind. Aber sie hat abgelehnt. Sie wollte nicht. Glaubst du, daß es ihr mit dem jungen Frederick so ernst ist?«
    »Welchen Grund hat Emily dir denn genannt?« wollte Leslie wissen. »Daß sie an Frodos Cembalo hängt?«
    Simon schüttelte den Kopf. »Nein, sie hat behauptet, sie wolle kein wertvolles Instrument aufstellen, ehe dieser Psychopath nicht hinter Schloß und Riegel sitze. Ich dachte, sie wollte nur taktvoll sein …«
    »Frodos Cembalo wäre demnach entbehrlich«, bemerkte Leslie. »Simon, du solltest inzwischen wissen, daß Emily das Wort ›Takt‹ – außer im musikalischen Sinne – gänzlich unbekannt ist!«
    »Das hatte ich vergessen«, entgegnete Simon und wirkte erleichtert. »Wenn ich mir vorstelle, daß sie auch nur im Traum daran denkt, wegen dieses jämmerlichen Burschen ihre Karriere aufzugeben … Ich schwöre, dann könnte ich zum Mörder …« Verlegen unterbrach er sich mitten im Satz. »Ich glaube jedenfalls nicht, daß ich den beiden je verzeihen könnte.« Er nahm seinen Handschuh von den Klaviertasten und schloß den Deckel. Die Bewegung wirkte seltsam endgültig.
    Leslie beobachtete, wie Simon vor den Altar in seinem Schlafzimmer trat. Nun, da sie wußte, was die Worte bedeuteten, beeindruckte es sie, wie er das Ritual beherrschte. Simon und Claire waren durch dieselbe Schule gegangen, von demselben Lehrer ausgebildet worden. Konnten ihre ethischen Vorstellungen sich wirklich so grundlegend unterscheiden? Die Arme wie zur Anrufung ausgestreckt, verharrte Simon einen Augenblick und warf dann Weihrauch auf die glühende Holzkohle. Doch es war nicht der bitter-reine Duft, den Leslie kannte, sondern etwas anderes, Ungewöhnliches.
    »Was ist das, Simon?«
    »Wacholder«, erklärte er. »Und … andere Dinge, die mit Pan zu tun

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