Die Hüter der Schatten
Gebet, von dem Sie glauben, daß es dazu beiträgt, Sie von irdischen Ängsten und Nöten zu befreien und Sie in einen Zustand des vollkommenen Friedens zu versetzen«, sagte Claire. »Und wenn Sie diese Art Jargon nicht ausstehen können, denken Sie sich Ihre eigenen Worte aus. Es kommt auf die Absicht an. Sie sollen sich reinigen und vorbereiten.«
Magie oder Kontrasuggestion, dachte Leslie, während sie Claires Aufforderung nachkam. Aber was machte das aus?
Als sie sich bereit fühlte, folgte sie Claire zur Garage, eine Kerze in der Hand.
Die ältere Frau trug den Kelch. Als sie über die Schwelle trat, schlug sie ein Zeichen – was für eines, konnte Leslie nicht erkennen – und murmelte wie zu sich selbst: »In deine Hände, o Herr, lege ich meinen Geist.«
Leslie spürte, wie ihr ein kalter Wind ins Gesicht wehte, und es lief ihr eisig über den Rücken. Claire nahm die Kerze, reichte Leslie den Kelch und trat in die Mitte des Raumes. Das Licht hoch über den Kopf erhoben, drehte sie sich im Uhrzeigersinn. Sie war totenbleich.
»Wo Dunkelheit herrscht«, intonierte Claire mit leiser, aber deutlich artikulierter Stimme, »laß Licht werden. Wo Haß ist, laß Liebe einkehren. Wo Verzweiflung ist, schenke Vertrauen und Hoffnung. Erhelle alles, was finster in uns ist, o heiliges Feuer, so wie ich dieses Licht bringe, wohl wissend, daß das Symbol nichts und die Wirklichkeit alles ist.«
Claire drehte sich noch einmal um sich selbst; dann ging sie mit der Kerze nacheinander in alle vier Ecken des Ateliers. »Wo Dunkelheit herrscht«, wiederholte sie jedesmal leise, »laß Licht werden.« Von neuem trat sie in die Mitte des Raumes. Ihr Gesicht wurde von der Kerzenflamme beschienen. Sie reichte Leslie das Licht und nahm den Kelch.
»Alles Unheilige und Böse möge von diesem Ort weichen. Fort mit euch, Finsternis und Verzweiflung. So wahr das Licht der Wahrheit und Hoffnung in der Finsternis entzündet ward, so treibe ich euch aus. Im Namen von Wasser und Erde vertreibe ich alle bösen Geister von diesem Ort und befehle euch: Weichet, weichet, weichet von hier!« Langsam drehte sie sich im Uhrzeigersinn (nein, im Sonnensinn, dachte Leslie plötzlich) auf der Stelle. Dann sprengte sie ein paar Tropfen Salzwasser in die vier Ecken des Raumes und rief noch einmal: »Weichet, weichet, weichet von hier!«
Die ältere Frau kehrte in die Mitte des Zimmers zurück und drehte sich wieder im Kreis, wobei sie eine Beschwörung murmelte. »O Wasser der Reinheit, o Erde der Wirklichkeit, reinigt diesen Ort von allem, das böse und falsch ist, wohl wissend, daß das Symbol nichts und die Wirklichkeit alles ist.«
Im Kelch waren nur noch ein paar Tropfen verblieben: Claire reichte Leslie das Gefäß und hielt einen Fidibus an die Kerzenflamme, damit er sich entzündete. Dann schritt sie wieder zum Zentrum des Raumes. Genau in die Mitte setzte sie einen kleinen Tonteller und legte den Fidibus darauf. Süßlicher, frisch duftender Rauch stieg in blauen Spiralen auf. Mit dem Gefäß in der Hand erhob sich Claire und reichte das dünne Wachslicht Leslie, die es nahm, ohne nachzudenken. Wieder drehte Claire sich im Uhrzeigersinn.
»Luft, Erde und Feuer!« rief sie aus. »Wir haben diesen Raum gereinigt; nun kehrt an den Ort ein, den wir gereinigt und geschmückt haben, auf daß nicht sieben Dämonen eintreten, wo wir einen gebannt haben. Wir beschwören den Geist des Wissens und die Wahrheit der Liebe und bannen alles Falsche und Böse, so wie es jetzt ist, am Anfang war und in alle Ewigkeit sein wird, denn alle Zeit ist eines. O du, der du alle vier Elemente in dir vereinst, O du, der du in der ganzen Schöpfung wohnst, wir wissen, daß das, was wir tun, nur ein Abbild der Wahrheit ist und unsere Symbole nur Gesten sind, die von einer inneren Wirklichkeit sprechen. O du ewiger Geist der Wahrheit, gib, daß wir alles, was wir mit unserem Munde ausgesprochen haben, in unseren Herzen glauben und in unserem Leben tun. Erfülle diesen Raum und unsere Seelen mit jenem Licht, in dem es keine Dunkelheit gibt.« Sie wandte sich jeder der vier Ecken zu und zeichnete mit dem glühenden Weihrauch das Zeichen des Pentagramms. »Und so rufe ich die Mächte, die wir beschworen haben, und bitte sie, mit uns zu sagen: Amen, Amen, Amen.«
»Amen«, flüsterte Leslie. Dieses Wort hatte sie nicht mehr gesagt, seit sie mit fünfzehn das letzte Mal in der Kirche gewesen war, und damals hatte es keine Bedeutung für sie gehabt. Aber jetzt fühlte
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