Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Hüter der Schatten

Die Hüter der Schatten

Titel: Die Hüter der Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marion Zimmer-Bradley
Vom Netzwerk:
sie es. Gänsehaut bedeckte ihre Arme, und wieder spürte sie, wie der kalte Wind sie anwehte.
    Claire verließ als erste die Garage. Auf der Türschwelle drückte sie das Räucherwerk aus, wobei sie flüsterte: »Kehre zurück zu den Elementen Luft, Erde und Feuer.« Sie blies die Kerze aus und schüttete die letzten Wassertropfen aus dem Kelch in einen Rosenbusch.
    Sie stellten Schale und Kelch wieder auf den Altar. »Und was nun?« fragte Leslie.
    »Jetzt«, antwortete Claire prosaisch, »machen wir uns Rührei oder irgendwas Herzhaftes. Wir müssen etwas essen, um die Tore zur Außersinnlichkeit wieder zu schließen.« Leslie hätte sie am liebsten mit Fragen bestürmt, doch Claire schüttelte den Kopf. »Reden Sie nicht darüber«, erklärte sie. »Das zerstreut die Kraft. Später.«
    In der Küche ließ Claire sich auf einen Stuhl sinken. Sie wirkte erschöpft. »Ich bin wirklich nicht mehr die Jüngste«, meinte sie. Doch als Leslie ein Omelett auf den Tisch stellte, straffte sich ihre Gestalt, und sie begann, Anekdoten aus der Buchhandlung zu erzählen.

21
     
     
    Das gemietete Klavier stand an seinem Platz. Emilys Knabe-Flügel war in die Werkstatt transportiert worden. Der von der Versicherung benannte Sachverständige hatte die Bruchstücke des Cembalos peinlich genau numeriert, zusammengeräumt und zwecks Untersuchung fortbringen lassen. Emily und Frodo hatten gemeinsam die Harfe neu bespannt. Der junge Mann hatte sogar Goldfarbe und winzige Pinsel mitgebracht und sorgfältig die Kratzer am Hals des Instruments ausgebessert. Leslie hatte einen Uhrmacher aufgetrieben, der den Mechanismus des Kuckucks reparierte und das Uhrgehäuse wieder zusammensetzte.
    Der Schaden an Leslies Nerven allerdings war dauerhafter. Immer noch schlief sie schlecht und fuhr bei jedem Laut hoch. Im Beisein ihrer Patienten nahm sie sich zusammen, stellte aber fest, daß sie sich nach Einbruch der Dunkelheit nicht mehr gern allein im Haus aufhielt.
    Als Simon endlich anrief und Leslie die Nummer seines Rückflugs mitteilte, war er fast eine Woche fort gewesen. Kurz vor Sonnenuntergang fuhr sie zum Flughafen, um ihn abzuholen. In der Ankunftshalle wartete sie ungeduldig darauf, daß sein Flug aufgerufen wurde, und drängte sich zusammen mit Müttern, Ehefrauen, Gatten und Kindern, die auf die Landung der Maschine warteten, an der Sperre.
    In der wogenden Menge, die durch den Tunnel herankam, erblickte sie Simons schlanke, elegante Erscheinung sofort. Ihr war gar nicht klar gewesen, wie groß er war; er überragte die Menschen um ihn herum fast um Haupteslänge. Als er Leslie sah, winkte er ihr, und ohne recht zu wissen, was sie tat, kämpfte sie sich zu ihm durch. Er beugte sich zu ihr herab und küßte sie leicht auf die Wange. »Leslie, Schatz! Du hättest dich nicht in dieses Gewühl stürzen sollen«, sagte er, während die Menschenmassen sie umwimmelten. »Laß uns von hier verschwinden.« Simon eilte in Richtung Parkplatz. Er wirkte erschöpft und trug die Hand wieder in der Schlinge.
    »Wie war die Reise?«
    Ungeduldig zuckte er die Achseln und bedeutete Leslie, sich hinter das Lenkrad des Mercedes zu setzen. Dann reihten sie sich in die Schlange ein, die langsam auf die Ausfahrt vorrückte. Als Leslie dem Parkwächter endlich die Münzen hinschob und dann Richtung Norden auf die Autobahn einbog, saß Simon da und bedeckte die Augen mit der Hand, als würde ihn das Licht stören.
    »Ich dachte, Heysermann ist ein brillanter Musiker und ein Mann mit Gewissen«, erklärte er schließlich. »Außerdem hielt ich ihn für einen Freund. Aber ich habe mich in allen Punkten geirrt.«
    Heysermann hat ihm einen Korb gegeben, dachte Leslie. Sie konnte sich vorstellen, wie schwer es Simon gefallen sein mußte, um eine Chance für ein Comeback zu betteln; die Ablehnung mußte ihn in tiefster Seele verletzt haben. Wie konnte der Mann so leichtfertig das neu errungene Selbstbewußtsein eines Menschen zerstören, der so schwer verletzt worden war? Hatte er das Machtgefühl genossen, über Simon zu Gericht zu sitzen?
    »Und was war mit dem anderen, dem Mann in Montreal? Ich erinnere mich nicht mehr an den Namen.«
    Simon verzog schmerzlich das Gesicht, und Leslie wünschte, sie hätte nicht gefragt. »Die ganze Reise war Zeitverschwendung. Ich hätte zu Hause bleiben sollen. Dann hätte ich mir Zeit und Kraft gespart und mein Gesicht nicht verloren. Ich wäre bei dir und Emily gewesen, als ihr mich gebraucht habt.« Er zuckte die Achseln.

Weitere Kostenlose Bücher