Die Hüter der Schatten
nutzen? Na schön, aber ehe wir uns an die Arbeit machen, sollten wir gründlich auslüften.« Sie ging hinüber und schloß die Tür auf. »Igitt, ich wette, die Katze war schon wieder hier.«
»Laß die Tür ruhig offen. Wir werden ohnehin den ganzen Tag draußen rumlaufen«, sagte Leslie. Am anderen Ende des Gartens hatte sie eine baufällige Hütte entdeckt. Einer der Schlüssel an dem alten Bund, den der Makler ihr übergeben hatte, paßte in das Vorhängeschloß. Drinnen fand sie einen alten, aber noch brauchbaren Rasenmäher, einen Rechen, eine Pflanzkelle, einen aufgerollten Schlauch und verschiedene Gartengeräte.
»Schau mal, was wir geerbt haben!« rief sie. Emily kam zu ihr und inspizierte den Schuppen.
»Ich werde den Wasserschlauch gleich anschließen und die Blumen gießen. Sie sehen aus, als könnten sie’s gebrauchen. Außerdem müßte hier wirklich mal das Unkraut gejätet und auch sonst noch allerhand getan werden«, erklärte Emily und schraubte den Schlauch an den Wasserhahn in der Nähe der Garagentür.
»Schließ lieber die Tür, oder lehne sie wenigstens an, sonst wird drinnen alles naß«, riet Leslie. Emily wollte ihrer Aufforderung folgen, als sie plötzlich aufschrie. Besorgt rannte Leslie zu ihr, doch Emily lachte nervös.
»Du lieber Himmel! Ich dachte, ich hätte jemand hier drin gesehen. War wohl nur die Schneiderpuppe«, erklärte sie und wies auf das zerbeulte Teil, das ein altes Gingham-Kleid trug.
Doch Leslies Ruhe war dahin. Ihr fiel wieder ein, wie sie mitten in diesem Raum Simon Anstey – beziehungsweise dessen Astralkörper, Doppelgänger, Geist oder was auch immer – erblickt hatte. Aber sie sperrte sich mit aller Kraft gegen solche Gedanken und ging wieder in den Garten. Den Teller mit dem Thunfisch hatte sie unter das Vordach gestellt, in die Nähe der Veranda. Wahrscheinlich war die Katze zu scheu, um ihn zu inspizieren, solange die beiden Schwestern sich hier aufhielten. Dann sah Leslie das Tier. Es glitt an den Rizinusbüschen im hinteren Teil des Gartens entlang.
»Komm, Mieze …«, rief sie leise, aber die Katze war bereits im Schatten verschwunden.
»Willst du dich wirklich mit einer streunenden Katze anfreunden, Les? Vielleicht ist sie verwildert. Dann wäre’s reine Zeitverschwendung zu versuchen, die Katze zu füttern und zu zähmen.«
»Halloo!« rief jemand vom Gartentor her. »Sie ziehen wohl gerade ein?«
Leslie ging zur Vorderfront des Hauses und sah Rainbow, die junge Frau aus dem Buchladen, mit Timmie in der Rückentrage. Neben ihr stand der junge Mann, den das Mädchen mit »Frodo« angeredet hatte. Sie hatten etwas Grünes in einem Tontopf bei sich. Leslie öffnete das Tor und ließ sie ein.
»Emily«, rief sie, »unsere ersten Besucher! Wohnen Sie in der Nähe?«
»Frodo wohnt unten in Haight«, erklärte Rainbow. »Und ich bin gleich um die Ecke zu Hause, in Buena Vista. Wir wußten noch, daß Sie von Miss Margraves Haus gesprochen hatten.«
Leslie erinnerte sich, daß sie Rainbow danach hatte fragen wollen. Aber hatte sie das wirklich getan? »Sie haben doch erzählt, Ihre Schwester interessiert sich für Kräuter. Ich war gerade dabei, meine Aloe Vera umzutopfen, also habe ich ihr ein Pflänzchen mitgebracht. Der Saft hilft bei der Heilung kleinerer Verletzungen.« Die junge Mutter hielt ihnen den Topf entgegen, in dem sich eine merkwürdige Pflanze, die wie ein Kaktus ohne Stacheln aussah, in alle Richtungen krümmte.
»Oh, vielen Dank!« rief Emily und nahm den Topf so erfreut entgegen, als würde statt der häßlichen Sukkulente eine kostbare Orchidee darin wachsen. »Ich wollte immer schon eine Aloe Vera, hatte aber keine Ahnung, wo ich sie auftreiben kann.«
»Emily, das sind Rainbow und Frodo. Ich bin Dr. Barnes. Leslie.«
»Kommt doch rein und seht euch den Kräutergarten an«, lud Emily sie ein und führte ihre Besucher nach hinten. Rainbow setzte Timmie auf dem Weg ab; dann zögerte sie.
»Gibt’s irgend etwas, das sie nicht anfassen sollte?«
»Nicht daß ich wüßte. Aber der Rasensprenger ist an, und vielleicht möchten Sie nicht, daß das Kind naß wird …«
»Das macht überhaupt nichts. Es ist ja warm, und sie hat nichts Besonderes an«, meinte Rainbow überflüssigerweise, denn Timmie trug nichts weiter als ein Baumwollhöschen. »Ich habe noch ein Paar Jogginghosen im Rucksack. Wenn sie naß wird, kann ich sie umziehen.«
Emily stellte den Topf mit der Aloe Vera auf die Verandatreppe. »Sollten wir sie im Topf
Weitere Kostenlose Bücher