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Die Hüter der Schatten

Die Hüter der Schatten

Titel: Die Hüter der Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marion Zimmer-Bradley
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Zeit.«
    »Vielleicht solltest du doch Klavierstimmen lernen«, bemerkte Leslie.
    »Das wäre sicher eine Hilfe. Es gefällt mir gar nicht, daß ich einen ganzen Tag lang nicht zum Üben komme.«
    »Wie hat die Harfe die Einlagerung überstanden?«
    »Ganz gut, glaube ich.« Emily trat zu dem Instrument und strich liebevoll über den mit vergoldeten Ornamenten geschmückten Hals. »Sie hat einen wundervollen Klang. Manchmal wünschte ich, ich hätte mir die Harfe als Hauptinstrument ausgesucht. Die kann ich wenigstens selbst stimmen und pflegen.«
    Leslie dachte an ihre Großmutter, die darauf gespielt hatte, als sie selbst noch ein Kind war. Emily setzte sich an das Instrument und ließ die Finger über die Saiten gleiten.
    »Aber für die Harfe gibt es kaum Sololiteratur«, fuhr sie fort. »Außer ich hätte den Wunsch, mich auf irische Volksmusik oder so etwas zu spezialisieren …« Ihre geringschätzige Miene deutete an, daß sie ebensogut in einer Rockband hätte auftreten können. Sie begann zu spielen.
    »Das Stück kenne ich noch von Grandma. Wie heißt es?« fragte Leslie.
    »Danse sacre et profane, von Debussy«, erklärte Emily.
    »Gefällt mir sehr gut. Aber leider erledigt der Umzug sich nicht von allein. Ich habe die Tagesdecke mit dem Bambusmuster auf dein Bett gelegt, Emmie.«
    »Schön«, gab ihre Schwester zurück, die gar nicht zugehört hatte. »Ich wünschte, ich hätte ein Cembalo. Für ein kleines Exemplar wäre hier reichlich Platz. Antike Instrumente sind natürlich nicht aufzutreiben, es sei denn, man will ein mittleres Vermögen investieren. Aber heute gibt es für ein paar tausend Dollar Bausätze, aus denen man sich sein Instrument selbst zusammenbasteln kann, und ich kann gut mit Werkzeug umgehen. Ich frage mich bloß, was aus ihren Cembalos geworden ist.«
    »Wessen Cembalos?«
    »Na, denen von Alison Margrave. Du hast doch gesagt, dieses Haus hätte einmal ihr gehört. Bei uns am Schwarzen Brett hing ein Artikel über sie. Sie hat neun Cembalos besessen! Ich frage mich, wo die alle geblieben sind.«
    »Ein paar standen bestimmt einmal hier«, meinte Leslie. Sie dachte an den Tag, an dem sie hier drinnen die geisterhafte Musik vernommen hatte – eine Art telepathischer Wahrnehmung, die sie nicht im geringsten störte.
    »Hast du Hunger, Emmie? Wir hatten beide nicht allzu viel Zeit zum Frühstücken.«
    »Ist in der Küche denn schon alles angeschlossen?« fragte Emily geistesabwesend.
    »Eigentlich brauchten nur Gas und Strom wieder aufgedreht zu werden. Die Handwerker waren gegen zehn Uhr da«, erwiderte Leslie.
    »Wir haben heißes Wasser, um Tee zu kochen, aber fast alles andere ist noch in Kisten. Ich hatte mir gedacht, wir lassen uns ein paar Sandwiches bringen. Was hättest du gern?«
    »Der Imbiß, wo wir kürzlich gegessen haben, hatte prima Sandwiches mit Ei und Avocado«, verkündete Emily und erwachte bereitwillig aus ihrer Versunkenheit. »Außerdem gibt’s da Auberginen-Parmigiana. Soll ich rüberlaufen und uns etwas holen? Was möchtest du?«
    »Eiersalat wäre nicht übel. Aber bitte keine Sprossen. Ich weiß, daß sie dir angeblich guttun, aber ich kann das Zeug nicht ausstehen.«
    »Ich tu’ sie auf die Seite und esse deinen Anteil mit«, erbot sich Emily, zog sich rasch Sandalen an und verschwand in Richtung Haight Street.
    Leslie ging in die Küche und begann auszupacken. Sie hängte Kochtöpfe an das Lochbrett und stellte den Mixer und den Grill für Emilys unvermeidliche Käsesandwiches auf die Anrichte. Ich hätte Emily bitten sollen, Milch, Butter und Salat mitzubringen, sagte sie sich und machte sich daran, eine Einkaufsliste aufzustellen, um sie an die Magnettafel am Kühlschrank zu hängen. Einmal unterbrach sie sich, weil sie glaubte, Emily sei zurück, doch was sie gehört hatte, war entweder ein geisterhaftes Wispern aus dem Musikzimmer oder nur ein Radio von nebenan gewesen.
    Sie fragte sich, ob sie eine Geschirrspülmaschine anschaffen sollte, und mußte an einen schlimmen Familienkrach in ihrem Elternhaus denken. Damals hatte sie ihrer Mutter gesagt, sie sollte sich einen Geschirrspüler anschaffen, um sich die Arbeit zu erleichtern.
    »Ich habe eine Geschirrspülmaschine«, hatte Constance Barnes erklärt und ihrer jüngeren Tochter, die damals fünfzehn war, zärtlich zugelächelt. »Sie heißt Emily.«
    Die darauf folgende Auseinandersetzung hatte fast drei Tage gedauert. Und was für ein sinnloser Streit es gewesen war! Ihre Mutter hätte sich

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