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Die Hueterin der Geheimnisse

Die Hueterin der Geheimnisse

Titel: Die Hueterin der Geheimnisse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pamela Freeman
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dass der Junge nervös war und dazu auch
allen Grund hatte, warf Ash regelmäßig einen Blick auf Flax. Die Tiefe war gefährlich, und das nicht bloß wegen der Dämonen. Giftschlangen, Spinnen und Skorpione lauerten unter jedem Felsen, jedem Blatt. Gift war der Makel der Schönheit; es erinnerte ihn an Doronit.
    Die Nichteingeweihten, Actons Volk, glaubten, die Felsen seien ein Irrgarten, durch den man wegen seiner verschachtelten Anordnung nur schwer hindurchfinden konnte. Doch das war bloß die Wildnis, die äußere Haut der Tiefe, die der Fluss den Hellhaarigen zu durchdringen gestattete. Weiter drinnen erwies sich die Wirklichkeit als seltsamer. Ash war sechs Jahre in Folge mit seinem Vater hier gewesen, in den Jahren zwischen seinem Stimmbruch und seiner Lehrzeit bei Doronit, und nie war es zweimal dasselbe gewesen. Niemand konnte in die Tiefe eindringen, wenn der Fluss es ihm nicht erlaubte. Felswände verschoben sich, Wasserläufe sprudelten, wo noch am Tag zuvor massiver Fels gewesen war, Sumpflöcher tauchten auf, die einen Mann innerhalb von drei Herzschlägen aufsaugen konnten, zu schnell selbst für einen Schrei. Ash hatte dies einmal gesehen, als er vierzehn war.
    »Schau nicht mehr hin«, hatte sein Vater gesagt. »Der Mann ist mit Heimtücke gekommen; der Fluss hat ihn eingefordert.«
    Ash entdeckte eine Lichtung, eine Stelle mit Trinkwasser und Gras, an der sie die Pferde zurücklassen konnten. Sie tränkten und striegelten sie und hängten die Futtersäcke als vorläufigen Futtertrog an einen Felsen. Als sie fertig damit waren, war es bereits dunkel.
    »Machen wir ein Feuer an?«, fragte Flax hoffnungsvoll.
    Ash schüttelte den Kopf. »Folge mir. Deine Augen werden sich an die Dunkelheit gewöhnen.«
    Es war seine Lieblingszeit in der Tiefe, gleich nach Sonnenuntergang,
wenn der Zauber begann. Immerhin hatte es beim ersten Mal wie Zauber gewirkt und auch jedes Mal danach, selbst als er begriffen hatte, wodurch es entstand. Während sie weiter hinein in das verworrene Steinlabyrinth gingen, glitzerten die Wände immer mehr wie Sterne. Kleine, grüne Sterne, die so matt leuchteten, dass es den Anschein hatte, als spielten einem die Augen einen Streich. Wenn dann die Dunkelheit zunahm und seine Augen sich daran gewöhnt hatten, wurden sie heller, zufällige, über die Felswände verstreute Konstellationen, zu leuchtenden Ansammlungen geballt, die ihnen ihren Weg erhellten.
    Ash schaute sich nach Flax um und war zufrieden, als er das Staunen auf dessen Gesicht sah.
    »Was ist das?«, fragte Flax.
    Ash überlegte, ob er ihm die Wahrheit sagen sollte. Es waren kleine, leuchtende Insekten. Glühwürmchen. Aber diesen Namen hatte er schon immer gehasst. Er schmälerte ihre Schönheit.
    »Die Sterne der Tiefe«, sagte er deshalb. »Komm.«
    Sie bogen um eine Ecke und befanden sich nun in einem größeren Hohlweg, durch den ein Wasserlauf floss, spritzend und springend und dabei kleine Kiesel und Steinchen umherwirbelnd. Die Seiten des Hohlwegs waren mit herabgestürzten Felsen verschüttet, und auch der Weg hinaus wurde von diesen versperrt, mit Ausnahme des Wasserlaufs, der sich aus einer kleinen Spalte zwischen der Felswand in die Dunkelheit ergoss. Falls sie versuchten, durch den Strom zu waten und durch die Spalte zu schlüpfen, würden sie hilflos wie Puppen gegen die spitzen Felsen geworfen werden oder sogar über den Rand des Wasserfalls, den sie donnern hörten.
    »Vorsichtig«, sagte Ash. »Ab hier beobachten uns die Dämonen.«

    Er stellte sich kerzengerade auf und sagte mit deutlicher Stimme: »Ich bin Ash, Sohn von Rowan. Ich bin diesem Ort bekannt. Mein Blut ist bekannt. Ich gebe es erneut, auf dass dieser Ort mich von Neuem kennen lerne.«
    Er nahm sein Gürtelmesser und trat an den Wasserlauf. Dann stach er sich in den Finger und ließ drei Tropfen Blut in das Wasser tropfen. Der Strom beruhigte sich sofort. Das Wasser floss zwar nach wie vor schnell dahin, war aber nicht mehr so reißend.
    Ash winkte Flax zu sich. Als dieser näher trat, wurde der Fluss wieder wild und sprang bedrohlich hoch. Ash nahm Flax’ Hand und hielt sie über den Fluss.
    »Dies ist Flax, Sohn von Gorham, gekommen, um seinem Blut in der Tiefe zu begegnen.« Er stach Flax in den Finger und ließ das Blut in das Wasser tropfen. Auch dieses Mal beruhigte es sich sofort.
    »Komm«, sagte Ash. »Jetzt.«
    Rasch führte er Flax durch den Strom, wobei er auf dem felsigen Boden ein wenig ins Straucheln geriet. So schnell er

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