Die Hueterin der Geheimnisse
schüttelte den Kopf. »Einer ist noch am Leben, der den Vorrang bekommen sollte. Wili.«
Ein Stimmengewirr ging von den Männern aus, halb erbost, halb erstaunt. »Eine Frau ?«
»Swefs Nichte. Hätte er mich nicht an Sohnes statt angenommen, hätte sie sein Gehöft geerbt. Hat sie nicht das Recht, es zu behalten? Und wenn wir von dem Recht der Eroberung sprechen, so ist es doch so, dass der Herr dieses Gehöfts durch ihre Hand gestorben ist, nicht durch meine. Hat sie es nicht verdient?«
Schweigen breitete sich aus, während Oddi die Sache abwog. Er tauschte Blicke mit Asgarn aus. Dieser wirkte nachdenklich.
»Gibt es Widerspruch?«, fragte Oddi. Die Männer traten zwar unbehaglich von einem Bein auf das andere, doch keiner sagte etwas.
»Sehr gut«, schloss er. »Wäre Wili Swefs Erbe, hätte er einen Gatten für sie gesucht, damit dieser das Gehöft für sie führt. Dieser Rat wird dies übernehmen. Wir werden abwägen,
wer am besten dafür geeignet ist.« Erneut wechselte er Blicke mit Asgarn. Ha!, dachte Bramble. Sie sollten Wili lieber vorher fragen. Sie hat zu viel durchgemacht, als dass sie es sich gefallen ließe, verschachert zu werden wie eine preisgekrönte Kuh.
Als habe er den Gedanken aufgefangen, meldete sich Acton zu Wort. »Ich glaube, ehrenvolle Ratsmitglieder, dass ihr dazu am besten Wili hinzuziehen solltet. Sie ist kein unreifes Mädchen mehr, das nur deshalb tut, was man ihr aufträgt, weil es ihr ein Mann sagt.«
Als die Männer begriffen, was er damit sagen wollte und was Wili erlitten hatte, ging ein Raunen durch den Raum.
»Wahr gesprochen«, sagte Asgarn. »Sie hat sich das Recht verdient, sich ihren Mann selbst auszusuchen.«
Du bist sicher, dass sie dich erwählt, nicht wahr, du arroganter Bastard?, dachte Bramble. Aber nur wenn Acton nicht der Nähe ist und sie ihn mit dir vergleichen könnte.
Oddi schaute die beiden an, die nun Seite an Seite standen, beide groß, blond und stark. Er schürzte die Lippen, als überlege er, wen Wili wohl wählen würde.
»Es bleibt noch die Frage unserer Schuld bei dir«, sagte er zu Acton. »Gibt es etwas, das du begehrst?«
Acton nickte. Ausnahmsweise war er ernst. »Ja, da gibt es etwas.«
»Sag es uns.«
»Der Fluss außerhalb dieses Gehöfts führt ans Meer und an den einzigen Hafen in diesem Land. T’vit heißt er. Entlang der Küste sind nur Klippen. T’vit ist der einzige Hafen.«
»Und?«
»In den guten Zeiten, bevor der Eiskönig kam, waren wir ein wohlhabendes Volk. Unser Wohlstand kam vom Meer. Vom Handel.« Die Zuhörenden stießen zustimmende Laute aus. »Wenn wir wieder wohlhabend werden wollen, brauchen
wir einen Hafen. Wenn ihr mich belohnen möchtet, so gebt mir T’vit.«
Oddi lehnte sich verwundert zurück, erstaunt darüber, dass ihn noch jemand überraschen konnte. Diese Gefühlsregung konnte Bramble klar erkennen. Oddi wurde nur selten überrascht, sondern war es gewohnt, allen anderen immer ein paar Schritte voraus zu sein. »T’vit …«, sagte er leise.
»Ich brauche zwei Boote mit Männern«, sagte Acton erwartungsvoll. »Gebt mir Bootsbauer und zwei Mannschaften, und dann führe ich sie nächsten Sommer den Fluss hinunter und sichere uns den Hafen. Dann können unsere Boote wie früher die Drachenstraße befahren. Zu den Wind Cities und noch weiter.«
Den anwesenden Stammesführern gefiel diese Vorstellung. »Kühner Gedanke!«, sagte einer von ihnen zustimmend. »Vertraut Acton, damit er uns den Handelsweg freimachen kann.«
Oddi schaute Acton an. Asgarn lächelte, und das tat Oddi ebenfalls. Was führten sie im Schilde? Sosehr sich Bramble auch bemühte, es gelang ihr nicht, Oddis Gedanken zu lesen. Acton, der Vollidiot, schien es nicht einmal zu bemerken. Sie hätte ihn schlagen können.
»Das ist ein wohlfeiles Ersuchen und eine angemessene Belohnung. Aber wenn du diesen Hafen für unsere Leute in Beschlag nehmen willst, Acton, musst du das als unser Kriegsherr tun.«
Acton nickte zustimmend. Asgarn hingegen warf Oddi einen erstaunten, verdrießlichen Blick zu. Oddi lächelte ihn säuerlich an. Also genießt Asgarn doch nicht sein ganzes Vertrauen, dachte Bramble.
»Dadurch handelst du mit unserer Befugnis, und was du annektierst, wird unserer Rechtsprechung unterliegen«, fügte Oddi hinzu.
Nun ging Asgarn ein Licht auf, und er begann zu lächeln. Er wandelte es in ein beglückwünschendes Lächeln gegenüber Acton, doch Bramble ließ sich nicht täuschen. Acton ebenso wenig.
»Aber mir wird
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