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Die Hueterin der Geheimnisse

Die Hueterin der Geheimnisse

Titel: Die Hueterin der Geheimnisse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pamela Freeman
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betrogen …
    Er überlegte, ob er sein Abendessen in seinem Zimmer oder in der Halle mit Sorn einnehmen sollte. Falls sie seine Gefühle nicht wahrgenommen hatte und seine Berührung lediglich als einmalige Verletzung der Etikette betrachtete, dann könnte er nach wie vor eine unerschütterte Fassade aufrechterhalten, und sie könnten mit dem fortfahren, was sie getan hatten, ohne dass ihrer beider Würde Schaden nahm und seine Loyalität infrage gestellt würde.
    Er ging in die Halle auf den hohen Tisch zu und erkannte sofort an der Blässe ihrer Wangen und der entschiedenen Art, mit der sie den Kopf zur Seite neigte, um ihn anzuschauen, dass sie sich den ganzen Tag über mit den gleichen Fallstricken beschäftigt hatte wie er und zu dem gleichen Ergebnis gekommen war. Neben seiner Anspannung und Besorgnis empfand er so etwas wie Triumph - nicht so rein wie Freude, nicht so simpel wie Glück. Freude oder Glück konnten sie nicht empfinden, dennoch, auch sie empfand so, und etwas in ihm frohlockte.
    Also setzte er sich neben sie, wie immer, und begrüßte sie formell, wie immer, und wie immer fragte sie ihn, welche Fortschritte die Kriegsvorbereitungen machten. Er berichtete ihr von den Schmieden und ihrer Produktion von Helmen und Schwertern; sie erkundigte sich, ob die Pfeilmacher mehr Federn benötigten; sie besprachen, ob für das Fest am Tag von Thegans Rückkehr einige Schwäne getötet und ihre Federn gesammelt werden sollten.
    »Wie ich höre, sind Schwanenfedern bei den Pfeilmachern
beliebt«, sagte Sorn. Damit ermutigte sie offensichtlich nicht nur ihn zu Bemerkungen, sondern auch die anderen Offiziere, um der Unterhaltung eine allgemeine Note zu geben. Sie lenkte das Thema des Gesprächs zwischen Leof, Gard und Wil auf Waffen und Bewaffnung und wurde dann schweigsam, wie es einer Frau bei einer solchen Unterhaltung geziemte. Leof achtete darauf, sie nur dann anzuschauen, wenn er ihr Brot anbot oder Salz, um den Ziegenbraten zu würzen. Vorsichtig lächelte sie ihn zum Dank an und schaute gleichermaßen ihn wie die anderen an. Es war eine so gut gespielte Vortäuschung, dass er begriff, dass sie sich dessen schon viel länger bewusst gewesen sein musste als er. Wie viele Mahlzeiten hatte er wohl schon mit ihr geteilt, ohne zu ahnen, dass sie diese schwierige Rolle spielte? Wie viele Male hatte er es ihr erschwert, indem er gedankenlos und blind gewesen war?
    Nun, jetzt würden sie gemeinsam vorgehen und gemeinsam ein Bollwerk gegen Betrug errichten.
    »Meine Lady, wünscht Ihr noch ein wenig Ziege?«
    »Danke, mein Lord, aber nein. Ich bin zufrieden.«
    Ein ironisches Lächeln zeigte sich um ihre Mundwinkel, verschwand jedoch so schnell, dass er sich fragte, ob er es wirklich gesehen hatte. Zufrieden war sie ganz sicher nicht, und das war ihr auch klar. Sie durften nicht noch vertrauter miteinander werden, schon gar nicht während eines Gesprächs, an dem noch andere beteiligt waren.
    »Vom Zuckerwerk dann vielleicht, meine Lady?«
    »Nur eins, ich danke Euch.«
    Es war also nicht nötig, sich groß zu verstellen, dachte er. Sie war wachsam gegenüber ihrem Wunsch nach geheimen Signalen und gegenüber der Gefahr, die diese darstellten. Es durfte keinerlei Zweideutigkeiten in ihrem Gespräch geben, keine miteinander geteilten Geheimnisse, kein verstecktes
Verständnis. Was versteckt ist, kann entdeckt werden. Was genährt wird, wächst. Sorn hatte diese Situation weit mehr unter Kontrolle als er. Sie war wesentlich geübter darin. Sie hatte viele solcher Mahlzeiten ertragen müssen, dachte er, und das nicht erst, seit ich hier angekommen bin. Mahlzeiten, bei denen das, was sie fühlte, und das, was sie zeigte, vollkommen im Widerspruch zueinander standen.
    Leof machte sich Gedanken über ihre Kindheit. Er hatte gehört, dass ihr Vater ein eiskalter Krieger gewesen war, und zum ersten Mal überwältigte ihn jenes Mitgefühl, jene flüchtige Berührung des Herzens, die Liebe hervorbringen kann, nicht bloß Begehren. Nein!, dachte er entsetzt. Nicht das. Doch obwohl seine Miene nichts verriet, so wie man auch nichts in ihr lesen konnte, wenn er seine Männer in die Schlacht führte, war er magisch von ihr angezogen. Aufmerksam studierte er, wie das Feuer Schatten auf ihr Gesicht warf, wie ihre Lider sich wölbten, wenn sie lächelte, wie ihre grünen Augen aufblitzten, als ihr Blick auf eine Dienstmagd, die allzu offen mit einem der Sergeants in der Nebenhalle flirtete, strenger wurde. Leof rückte ein wenig

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