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Die Hueterin der Geheimnisse

Die Hueterin der Geheimnisse

Titel: Die Hueterin der Geheimnisse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pamela Freeman
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auch Safred mit ein, wobei sie nicht in der schrecklichen Stimme der Toten sang, mit der sie heilte, sondern mit ihrer klaren Altstimme. Cael wollte ebenfalls mitsingen, doch Martine schüttelte den Kopf und mahnte ihn so, dies nicht zu tun. Sie wusste nicht, was geschehen würde, wenn ein Mann diese Noten sang.
    Der Nebel begann, sich zurückzuziehen, und ließ sie in einem kleinen Kreis klarer Luft zurück. Doch während dies geschah, erschallte Geschrei. Es war, als kreischte ein Kaninchen in dem Moment, in dem der Fuchs sich in es verbeißt, als blöke ein Lamm unter den Klauen des Adlers, als schreie ein Kind, das über die Klippe stürzt. Der Schrei klang klein, schutzlos und war vollkommen irreführend, so als wolle er sie dazu bringen, erschrocken aufzuspringen und den Kreis zu verlassen. Cael zuckte zusammen, als der erste Schrei die Luft zerriss, doch Martine hielt ihn mit der einen Hand und Safred mit der anderen fest. Sie hielten einander alle fest und sangen lauter.
    Die Geräusche verwandelten sich in ein Geheul, bedrohlich, lauter, als Martine glaubte, es ertragen zu können; der Klang drang bis in ihr Unterbewusstsein und drängte sie dazu, wegzulaufen. Flieh! Geh in Deckung! Es war hart,
sehr hart, reglos zu bleiben, wo doch ihr ganzer Instinkt sie dazu drängte, sich zu bewegen, und das schnell. Zel brach der Schweiß aus, und sie starrte Safred an, als hinge ihr Leben davon ab. Cael zog die Schultern ein und klammerte sich so fest an ihre Hand, dass Martine kein Gefühl mehr in den Fingern spürte. Safreds Beine zuckten, als habe sie sich in Bewegung setzen wollen, es sich dann jedoch anders überlegt. Hätten sie doch nur sehen können, was dort draußen war. Aber vielleicht beschützte sie der Nebel davor, etwas zu sehen. Vielleicht würden sie wahnsinnig werden, wenn sie etwas sahen.
    Plötzlich bewegte sich Bramble ruckartig und stöhnte dabei auf, als sei sie verwundet worden. Die Bewegung reichte aus, um ihrer aller Aufmerksamkeit von dem Geheul abzulenken und auf sie zu richten. Ihr Lied schwoll an, und sofort bewegte sich der Nebelkreis weiter nach außen, zog sich weiter zurück. Innerhalb dieses Kreises befanden sie sich in Sicherheit, davon war Martine überzeugt, aber das Geheul und das Gekreische wurden lauter und die Schatten im Nebel dunkler, klarer.
    Die Schatten waren größer als Menschen und bewegten sich ruckartig und schwungvoll und veränderten ihre Gestalt, während man sie betrachtete; ihnen wuchsen Arme und Beine, gekrümmte Krallen, aus einem Körper wuchsen drei Köpfe. Es war zutiefst beunruhigend, nicht bloß Furcht erregend, sondern stand in krassem Gegensatz zu den Vorstellungen, die Martine von der Welt hatte. Dies war nicht die Welt, die ihr bekannt war; dieser See, dieser Wald waren mit einer Welt jenseits dieser verbunden, einer Welt, in die Menschen nicht gehörten. Vielleicht war die Wiedergeburt einfach die Möglichkeit, wie Menschen der schrecklichen Dunkelheit jenseits des Todes, in der diese Wesen hausten, entkamen.

    Bramble fröstelte und schauderte und fing an, mit Armen und Beinen um sich zu schlagen. Ihr Knie stieß gegen Safreds und Zels Hände und hätte fast deren Griff gelöst. Das Geheul verstärkte sich, und die Gestalten schienen sich auf den Kreis zu werfen, wurden aber am Rand des Nebels aufgehalten, wobei ihre Körper deutlich sichtbar wurden, wenn sie sich flach gegen das unsichtbare Hindernis drückten. Sie waren ihnen viel zu sichtbar, denn sie waren keine Tiere und auch keine Geister wie die Wassergeister oder die Windgeister und nicht einmal Dämonen, wie manch ein Geschichtenerzähler sie beschrieben hatte. Sie waren menschlich und doch auch wieder nicht. Einige waren verlängert, andere zusammengedrückt, wieder andere wie Schlangen um sich selbst herum gewunden, während andere dahinschrumpelten wie getrocknete Blätter.
    Martine sang, obwohl ihre Kehle rau war, sang mit trockener Kehle und rissigen Lippen, sang und sang immer weiter die fünf Noten, die ihre Mama ihr beigebracht hatte, und schaute den Dämonen nicht ins Gesicht, um nicht das Gesicht ihrer Mama dort zu erkennen oder das ihres Papas oder Cobs oder eines anderen der von ihr geliebten Menschen, die mit der Todesfee fortgegangen waren. Denn ob diese Menschen wiedergeboren worden waren, wollte sie nicht wissen, wollte nicht wissen, ob sie vor Stolz geschwollen oder vor Neid geschrumpft waren oder krumm vor Gier und zu einem dieser kreischenden hungrigen Ungeheuer geworden

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