Die Hueterin der Geheimnisse
Rücken und verteilte sich auf dem Höhlenboden, doch noch atmete er ein wenig.
Red bückte sich und packte ihn unter den Armen. Bramble hatte sich so sehr gewünscht, ihn zu berühren, aber nicht so … nicht um ihn ins Grab zu bringen. Red zerrte ihn in einen Gang im hinteren Bereich der Höhle. Es war derselbe Gang, über den Dotta Gris geführt hatte und den sich zu merken sie Bramble eingeschärft hatte.
Bramble machte sich auf den langen Pfad hinab in die bemalte Höhle gefasst, doch in diesem Moment kam das Wasser, so langsam und unaufhaltsam wie Leichenmusik, so streng wie der Winter. Das Wasser bedeckte sie, erstickte sie, ließ ihren Atem stocken, wie Actons Atem nun stockte. Sie hatte ihn getötet, und nun starb sie, und so sollte es sein. Sie war damit einverstanden, und als sich das Wasser zurückzog und sie, sich selbst überlassen, unter den Bäumen des Großen Walds zurückließ, fühlte sie sich betrogen.
Martine
Der Nebel war so dicht, dass sie kaum das Gesicht des jeweils anderen sehen konnten, doch da draußen, jenseits des Feuerscheins, bewegte sich etwas. Aus den Augenwinkeln heraus nahmen sie es wahr, und auch dadurch, dass ihnen die Nackenhaare zu Berge standen, wussten sie, dass da etwas war, irgendetwas, das sie umkreiste, beobachtete, belauschte. Auf der Suche war.
Martine wollte etwas sagen, doch Safred legte einen Finger auf die Lippen und bedeutete ihr, still zu sein. Sie beugten sich über Bramble, so dicht beieinander, dass ihre Köpfe sich fast berührten.
»Hier geht es nicht darum, dass du zu der Insel gehst«, flüsterte Martine. Irgendwie war sie überzeugt davon. »Wonach suchen sie?«
Safred schaute auf Bramble hinab. »Wir hätten sie dort draußen lassen sollen«, stieß sie besorgt hervor. »Wir hätten ihr einen Sonnenschutz oder so etwas bauen sollen. Dort wäre sie in Sicherheit gewesen.«
»Wie meinst du das?«
»Bei dem, was sie tut, ist ihre Seele ungeschützt. Auf dem Hinweg wurde sie von den Göttern am Altar beschützt. Wenn sie zurückkommt … Vielleicht ist der Nebel ihr Schutz gegen … gegen das, was sie bedroht.«
»Der Wald?«
Safred zuckte hilflos mit den Schultern. »Ich glaube nicht. Es ist irgendetwas jenseits des Lebens.«
Zel schaltete sich ein. »Du willst es nicht aussprechen, aber es sind die Dämonen, die Seelen verschlingen, nicht wahr?«
Safreds Gesichtsausdruck bestätigte es. Martine hatte daran nie so recht glauben wollen - es hieß, die Dämonen verschlängen die Seelen derer, die ein schlechtes Leben geführt hatten, ohne Großzügigkeit, Mut oder Freundlichkeit. Die Seelen der Bösen, der Engherzigen, der Kleinlichen. Sie fragte sich, ob sie wohl Actons Seele verschlungen hatten. Es wäre paradox, wenn all diese Mühe umsonst gewesen sein sollte, weil seine Seele längst tot war.
»Sind sie echt?«, fragte sie.
»Ich weiß es nicht«, flüsterte Safred. »Die Götter geben keine Antwort, wenn ich frage. Aber da draußen ist etwas.«
»Gibt es etwas, das wir tun könnten?« Caels Gesicht war blass. Es war das erste Mal, dass er Angst zeigte, und das führte dazu, dass sich Martine der Magen umdrehte.
Safred zog unschlüssig die Schultern hoch.
»Da gibt es einen … einen Bann«, sagte Martine.
Zel schaute sie schockiert an. Wenn die alten Frauen bei der Herbst-Tagundnachtgleiche waren, sangen die jungen Frauen das dunkle Lied, das Lied des Schutzes vor Unheil, um ihre Familien vor dem kommenden Winter zu schützen. Gegen alle Dämonen. Aber es war geheim und wurde nur innerhalb des alten Blutes von Mutter zu Tochter weitergegeben.
Oh, Mama, vergib mir, dachte Martine, aber ich kann Bramble nicht ohne Schutz lassen. Sie fing an zu singen.
Die Melodie bestand aus nur fünf Noten, die ständig wiederholt wurden. Die Worte spielten keine Rolle, hatte Martine gehört, doch die Melodie musste präzise sein. Für gewöhnlich
sangen die Frauen die Namen der Menschen, die sie liebten, oder Worte wie »sicher«, »beschützt« und »Leben«. Martine sang »Bramble« und verteilte das Wort dabei auf alle fünf Noten, es dabei ständig wiederholend.
Nach einem Moment des Zögerns fiel Zel mit ein und legte ihre schweißnasse Hand in Martines.
Die sich im Nebel bewegenden Schatten schienen innezuhalten, während die beiden sangen. Dann, als hätten sie auf einen Ton gewartet, um sich zu sammeln, kamen sie näher. Die Götter mögen uns schützen, dachte Martine, hoffentlich habe ich uns nicht alle dem Untergang geweiht.
Dann fiel
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