Die Hueterin der Geheimnisse
waren.
Bramble rang nach Luft, als wäre sie im Begriff zu ertrinken. Dann erwachte sie.
Leof
Thegan drehte sich um und schaute auf die Karte, die auf einem Beistelltisch ausgebreitet lag. Sie zeigte die Details der Domänen und dazu einen Überblick der anderen Ländereien. Es war die größte Karte, die Leof kannte. Er hatte sie zuvor schon oft betrachtet, und jedes Mal waren mehr Informationen auf ihr verzeichnet, mehr Einzelheiten über die Wind Cities und die Lange Küste dahinter, über das Land des Eiskönigs, über die Wilde Küste auf der anderen Seite des Ostmeeres. Nun erkannte er, dass das Gebiet nördlich von Foreverfroze ergänzt worden war - obwohl es doch in den eiskalten Ländereien nicht viel zu markieren gab. Leof fragte sich, welcher von Thegans Bevollmächtigten sich so weit nach Norden gewagt hatte.
»Wir könnten dies zu einem großen Land machen, Leof«, sagte Thegan düster. »Wir sprechen mit Ehrfurcht von den Wind Cities, weil sie so reich sind, und doch sind die Domänen zehn Mal so groß und fruchtbarer. Aber wenn sie handeln, dann sprechen sie mit einer Stimme. Sie spielen uns gegeneinander aus, und wir lassen das zu. Wir müssen mit einer Stimme reden.«
»Und diese Stimme wird die Eure sein«, sagte Leof. Die Worte kamen heraus, ohne dass er darüber nachgedacht hätte, und nun spannte er sich in Erwartung von Thegans Reaktion an. Aber Thegan fasste es als Kompliment auf oder vielleicht
als Ausdruck von Zuversicht, denn er legte Leof seine Hand auf die Schulter und schüttelte sie sanft.
»Eines Tages. Bald schon vielleicht.« Dann überkam ihn eine plötzliche Heiterkeit, wie es manchmal geschah, wenn sie über die Zukunft sprachen. »Wir werden einen neuen Namen brauchen«, verkündete er lächelnd. »Ein passender Name für unser vereinigtes Land. Wie wäre es mit Actonsland?«
»Und wie mit Thegansland?«, konterte Leof, das Lächeln erwidernd.
Thegan lachte, schüttelte jedoch den Kopf. »Nein, wir brauchen etwas, um uns zu vereinen, nicht um uns zu zerstreiten. Thegansland würde als Prahlerei aufgefasst werden, als Spucke ins Gesicht.«
»Dann also Sornsland«, sagte Leof, halb im Scherz. »Sie wird eine äußerst beliebte Herrin sein, und man würde es als romantische Geste verstehen. Vor allem, da sie Eure Erben gebären wird.«
Die Vorstellung von Sornsland hatte Thegan zum Lachen gebracht, doch während des letzten Satzes gruben sich steile Falten in seine Stirn, und seine Lippen wurden schmal. Ein Teil von Leof sah dies mit Genugtuung. Ja, das war ein Problem, das ihn plagte. Aber Thegan fasste sich rasch wieder.
»Immer noch zu spalterisch, Junge«, sagte er. »Actonsland wird uns alle zusammenbringen.«
»Außer mit den Wanderern«, sagte Leof.
Thegan zuckte mit den Schultern. »Sie bedeuten seit tausend Jahren nichts mehr. Sie sind nichts.«
»Außer diesem Erwecker der Toten. In ihm fließt Wandererblut«, erinnerte ihn Leof.
Thegan schaute ihn verwirrt an. »Du hast dich verändert. Du bist ernster als früher. Reifer.«
Leof wurde rot und schaute beiseite. »Ihr hättet mir nicht
die Verantwortung übergeben dürfen«, versuchte er zu scherzen. »Da würde jeder graue Haare bekommen.«
Thegan lächelte und nickte. »Aber gibt es etwas Besseres, als den Befehl innezuhaben?«, fragte er, ohne eine Antwort abzuwarten. Dann entließ er Leof und schickte ihn zu seiner Mahlzeit, während er sich wieder an seinen Schreibtisch setzte und damit anfing, Leofs Bericht zu lesen.
Während diese letzte Bemerkung ihm noch im Kopf widerhallte, entfernte sich Leof aus dem Arbeitszimmer. Für Thegan stimmte dies: Den Befehl innezuhaben, verantwortlich zu sein war das Bestmögliche. Macht - Leof begriff sie nicht ganz. Natürlich war es ein gutes Gefühl, wenn einem die Leute gehorchten und einem zutrauten, ihnen die richtigen Befehle zu erteilen, einem in die Schlacht folgten und sich mit Leib und Seele dazu verpflichteten, einen zu unterstützen. Ja, nichts kam an gegen jene Welle des Gefühls von Loyalität und Vertrauen, die einen so mitriss, dass man größer wurde, als man es allein je hätte sein können. Aber nach der Schlacht? Leof hatte immer gefunden, dass Befehlen der langweilige Teil beim Offizierssein war. Abnahmen zu machen, Berichte zu lesen und zu schreiben, Verantwortung übernehmen zu müssen … Nun, seine Mutter hatte stets gesagt, er handle unverantwortlich, außer gegenüber seinen Männern. Sie behauptete, er wäre längst verheiratet und hätte
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