Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Hueterin der Geheimnisse

Die Hueterin der Geheimnisse

Titel: Die Hueterin der Geheimnisse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pamela Freeman
Vom Netzwerk:
heilt!«
    Ash war überrascht, dass Flax für ihn in die Bresche sprang. Flax’ Stimme war voller Ehrfurcht und beeindruckte damit eine Reihe der Männer. Aber Vine blieb skeptisch.
    »Die Stimme eines Propheten? Wie hört sich das an?«
    Flax machte Anstalten, etwas zu sagen, aber Ash hob eine Hand.
    »Es ist nicht die Stimme eines Propheten. Nicht wahr, Vater?«
    Rowan schüttelte den Kopf. Die anderen Männer schauten ihn an. »Es ist die Stimme der Toten«, sagte er.
    Schweigen breitete sich aus. Dann sagte Flax stirnrunzelnd: »Die Toten sprechen nicht. Können nicht sprechen.«
    Ashs Blick meidend, erklärte es Rowan widerwillig. »Manche Menschen haben die Fähigkeit, die Toten zum Sprechen zu bewegen. Wenn sie es dann tun … ›aus dem Grab sprechen alle gleich, und es ist nicht einfach, sie zu verstehen‹.«
    »Aber dieses Sprichwort bedeutet doch, dass die Toten stumm sind!«, wandte Snake ein.
    Rowan und Ash schüttelten den Kopf. Die Bewegung war absolut dieselbe, und als Ash das erkannte, schnürte sich ihm das Herz in der Brust zusammen.
    »Nein, das bedeutet es nicht«, sagte Ash. »Es bedeutet, dass die Stimme der Toten schrecklich klingt.«
    »Hast du in all den Jahren nie daran gedacht, dieses Wissen mit uns zu teilen, Rowan?«, fragte Skink leise.

    Rowan errötete. »Es ist kein Geheimnis der Tiefe«, sagte er. Ash wusste, dass es die Entscheidung seiner Mutter gewesen sein musste, dieses Wissen innerhalb der Familie zu bewahren. Er war sich fast sicher, dass seine Fähigkeit von ihrer Blutlinie stammte.
    »Mir wurde gesagt, dass nur einer von Tausenden die Toten zum Sprechen nötigen kann«, sagte Ash, um die Männer vom Unbehagen seines Vaters abzulenken.
    »Und das bist du, ja?«, fragte Vine.
    »Ja.«
    Skink starrte nach wie vor Rowan an, als habe dieser sie alle betrogen. Rowan räusperte sich.
    »Es ist eine große Götterlästerung, die Toten zum Sprechen zu nötigen. Das ist eine Macht, die nicht ausgenutzt werden sollte.« Seine Stimme war eindringlich und klang absolut überzeugt. »Deshalb haben wir Ash nicht von seiner … Fähigkeit unterrichtet. Götterlästerungen müssen vermieden werden.«
    Ash erinnerte sich an sein Schamgefühl und seine Erregung, als er zur Wintersonnenwende neben Doronit gestanden und die Geister von Turvite zum Sprechen genötigt hatte. Er erinnerte sich an den Geist des Mädchens, das er getötet hatte, und an den Geist des Steinedeuters, der bestrebt gewesen war, seinem Sohn zu helfen und zur Wiedergeburt zu schreiten.
    »Einen Geist zum Sprechen zu nötigen ist Götterlästerung«, sagte er. »Aber wenn ein Geist sprechen möchte, kann diese Macht ein Segen sein.«
    Es war das erste Mal in seinem Leben, dass er seinem Vater widersprach. Rowan schaute ihn überrascht an.
    »Ich glaube immer noch nicht, dass er die Lieder singen kann«, sagte Vine.
    Ash stand auf und bemühte sich, seinen Kehlkopf zu entspannen.
Er wusste, wie er singen sollte ; wusste Bescheid über Atemkontrolle, Tonhöhe und Phrasierung. Aber laut gesungen hatte er seit seiner Kindheit nicht mehr, und der Kreis der Gesichter blickte skeptisch, mit Ausnahme von Flax und seinem Vater. Er spürte, wie ihm schlecht wurde, und kämpfte dagegen an. Um es für ihn so schwierig wie nur möglich zu machen und damit ihn nichts Schlimmeres mehr erwarten konnte, entschied er sich dann bewusst dazu, Die fernen Hügel zu singen.
    Als der erste Ton über Ashs Lippen drang, sah er, dass sie alle zusammenschreckten. Sein Vater hielt den Kopf gesenkt; Flax und die anderen starrten ihn mit offenem Mund an. Vine wiederum schaute ständig weg und dann wieder hin.
    Er sang die beiden ersten Verse, und das war mehr als genug. Das schrille, mahlende Geräusch wurden von den Felsen noch verstärkt, genau wie es zuvor bei Flax’ Stimme gewesen war, doch bei Ash wurde der Klang unerträglich, undenkbar, ein dämonisches Geheul. Er beobachtete ihre Gesichter. Sie waren entsetzt. Abgestoßen. Er hatte es gewusst.
    Am Ende des zweiten Verses verstummte Ash und blieb abwartend stehen.
    »Also?«, sagte Flax schließlich, dem die Geduld ausging.
    »Mmm«, sagte Skink. »Die Tonhöhe hat er gehalten.«
    Ash starrte ihn an. Eine Kritik war das Letzte, was er erwartet hatte. »Ich …«
    »Bei dieser Stimme ziehen sich einem die Eier zusammen. Aber die Phrasierung war nicht schlecht. Er hat richtig gesungen, obwohl es keine leichte Melodie ist.« Skink sprach so, als wäre Ash ein beliebiger junger Sänger, der in die

Weitere Kostenlose Bücher