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Die Hueterin der Geheimnisse

Die Hueterin der Geheimnisse

Titel: Die Hueterin der Geheimnisse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pamela Freeman
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starrte auf das Fenster, wünschte sich, er käme hindurchgeklettert wie ein Liebhaber aus einer der Legenden.
    Ich muss verrückt sein, dachte sie. Das hier ist mehr als eine normale Auswirkung der Tagundnachgleiche. Vielleicht
ist es eine Bestrafung des Feuers. Herr der Flammen, betete sie, vergib mir und befreie mich hiervon. Doch ihre Haut war schmerzempfindlich, als sei sie zu großer Hitze ausgesetzt, und bei jedem Atemzug rieb das raue Laken über ihre steifen Brustwarzen. Wie ein Ball, wie ein Kind lag sie stundenlang eingerollt, bevor sie wieder in den Schlaf fiel.
    Sie träumte von Arvid.

Apples Geschichte
    Wozu war es gut? Worin lag der Sinn? Ich hatte bedient, gearbeitet, war loyal gewesen - und wofür? Ein Weg, der ins Nichts führte. Und doch erwarteten sie jetzt von mir weiterzumachen. Zu bedienen, als wäre nichts geschehen. Als führte der Weg nach wie vor nach Hause.
    Ich stand mit dem Tablett in der Hand da und schaute zu dem Glastisch hinüber.
    »Du kannst von Glück reden, dass du noch eine Stelle hast«, sagte der Koch leise. »Komm schon. Der Lord wartet.«
    Lass ihn doch warten, dachte ich. Lass ihn warten, bis die Riesen die Sonne verschlingen.
    Ich stellte das Tablett ab und ging aus der Halle hinaus, raus aus der Festungsanlage, den Hügel hinab zum Galgen und zu der Steinpresse. Die Wache am Tor rief: »Ich werde in ein paar Minuten schließen, Mädchen!«, aber ich ignorierte ihn. Ich würde nicht zurückkehren.
    Ich ging zum Galgen. Die Krähen waren schon seit drei Tagen mit Lidi beschäftigt, und ich ging nicht dorthin, um es mir anzusehen. Stattdessen beobachte ich die Galgen, und als sein Geist erwachte, stand ich bereit.
    Lidi erschien nicht mitten in der Luft, wie ich es erwartet hatte, sondern auf dem Podest, was bedeutete, dass er nicht schnell gestorben war, wie ich es geglaubt hatte. Er erhob
sich langsam, wohl wissend, wo er sich befand und was geschehen war, und ich trat vor, damit er mich sehen konnte.
    Er streckte die Hand nach mir aus, aber wozu sollte das gut sein? Seine Hände glitten mit einer Kälte durch die meinen, die mir bis ins Mark fuhr. Es ist grausam von den Göttern, dass sie uns die Toten sehen, aber nicht berühren lassen.
    »Sie werden keine Wiedergutmachung bieten«, sagte ich, und erst bei diesen Worten fing ich an zu weinen, schluchzte vor rasendem Kummer. »Das tun sie nie. Aber lass nicht zu, dass sie dich auch im nächsten Leben verurteilen. Trickse sie aus. Schreite zur Wiedergeburt.«
    Wieder streckte er die Hand nach mir aus, das Gesicht bar jeden Ausdrucks. Ich fuhr mit der Hand dicht an seiner Wange entlang. Er deutete auf mich und spreizte die Hände, als wolle er mich etwas fragen.
    »Ich gehe«, sagte ich. »Ich gehe zur Ansiedlung.«
    Er verharrte und nickte dann und versuchte zu lächeln. Er hob die Hand und blies mir einen Kuss zu, und das war der schwerste Moment überhaupt, das weiß ich noch, weil es etwas war, was er sonst nie tat. Ich tat es immer für ihn, wenn ich morgens zur Arbeit ging. Es war ein Scherz zwischen uns beiden, den er nie nachmachte. »Das ist etwas Mädchenhaftes«, sagte er immer. Und nun blies er mir einen Kuss zu und lächelte und verblasste dann, war verschwunden, bevor ich den Kuss erwidern konnte, und ich sank mit weichen Knien am Fuß des Galgens nieder. Sein Körper hing, in Ketten gelegt, über mir. Drei Tage war er nun tot.
    Seinen Geist konnte ich nicht berühren, seinen Körper aber schon, ein letztes Mal. Also streckte ich die Hand aus und legte sie ihm auf den Fuß, der immer noch in den Schuhen steckte, die er sich selbst gefertigt hatte. Ohne es zu wollen, versetzte ich ihn ins Schwingen, und die Ketten klirrten.
Es war, als schicke er mir eine Botschaft, und diese Botschaft lautete: Lauf! Also rannte ich weg. Ich rannte durch die Gasse zurück in die Zimmer, die unser Zuhause gewesen waren, und packte alles, was ich tragen konnte, in seinen alten Rucksack und zog davon, ohne nachzudenken, ohne zu planen. Ich ging einfach los und hielt mich Richtung Norden. Dabei spuckte ich auf die Straße, die zur Festung führte. Sie hatten ihm vorgeworfen, er habe Steuern hinterzogen, doch die Wahrheit war, dass er sich nicht tief genug verbeugt und sich damit respektlos verhalten hatte.
    Das hatte er auch, und das war auch richtig so. Was war denn dort auf dem Hügel, das man hätte respektieren müssen? Ich hatte immer gesagt: »Nein, Liebster, verärgere sie nicht, schau einfach zu Boden, wenn sie

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