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Die Hueterin der Geheimnisse

Die Hueterin der Geheimnisse

Titel: Die Hueterin der Geheimnisse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pamela Freeman
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ihn großziehen, und dann werde ich bezahlen.«
    Der Geist zischte nun leiser, war jedoch noch immer nicht besänftigt.
    »Was sind schon ein paar Jahre für dich? Bloß ein paar Jahreszeiten, das ist doch alles. Dann bezahle ich für den Verlust.«
    Ich starrte auf den Boden, als wäre er das Gesicht meines Geliebten, und betete zu allen Göttern, die es gab. Das Zischen verebbte zu einem leisen, beruhigenden Geräusch. Das Wesen begriff, das spürte ich. Es akzeptierte. Dann streckte es eine bedrohliche Hand nach meinem Sohn aus und ließ seine langen Finger über seiner Kehle verharren. Die Bedeutung war klar. Falls ich nicht bezahlte, müsste Snow es tun.
    »Ich verstehe«, flüsterte ich. »Wenn er groß ist, werde ich kommen.«
    Aber es war nicht zufrieden. Es wollte etwas anderes. Verzweifelt dachte ich nach und erinnerte mich an die alten Geschichten von Abmachungen zwischen Menschen und Geistern. Es gab bestimmte Worte, die dabei immer benutzt wurden. Ich hatte geglaubt, es handle sich lediglich um eine Legende, aber womöglich war es gar nicht so.
    »Ich bin Dila, Tochter von Sarni. Ich schwöre bei meinem
Blut, dass ich zurückkehren werde, um den Verlust zu bezahlen.«
    Der Geist verstummte und nahm den Handel an. Dann verschwand er in der Erde, versank in ihr, wie man in einem Sumpf versinkt, doch die Erde war dort, wo er gestanden hatte, fest.
    Eilig entfernte ich mich von diesem Ort und gelangte am nächsten Tag zur Ansiedlung der Valuer. Sie nahmen uns auf, genau wie Lidi es vorhergesagt hatte, an jenen Wintertagen, als wir diese Reise gemeinsam geplant hatten. Sie führten uns ins Warme wie verloren gegangene Lämmer, und ich kam mir auch ein wenig vor wie ein verloren gegangenes Lamm, so aufgewühlt war ich von meiner Begegnung mit dem Geist.
    Aber dann war dort nur das Leben; die Arbeit in der Milchkammer war meine Hauptbeschäftigung, Melken und Käse machen, auch wenn ich wie alle anderen bei der Aussaat und der Ernte mithalf. Und wie alle anderen wählte auch ich die Ratsmitglieder und sagte bei den offenen Versammlungen meine Meinung, was ich in einer freien Stadt nicht hätte tun können, weil dort nur wählen darf, wer Eigentum besitzt. Ich kann euch sagen, wir haben so manchen Streit bei diesen Versammlungen ausgetragen! Alle halfen sie mir dabei, eine kleine Hütte zu bauen, und ich pflanzte einen Kreis von Ebereschen darum, um Snow zu schützen, während wir schliefen, und darunter pflanzte ich Rittersporn, der vor Sinnestäuschungen schützt. Doch nichts geschah, außer dass aus dem Winter Sommer und wieder Winter wurde.
    Bis zum Abend von Snows fünfzehntem Geburtstag, als ich daran erinnert wurde, dass ich die Strafe bezahlen musste.
    Ich hatte gewusst, dass dieser Tag kommen würde. Bei jedem Neumond markierte ich seine Körpergröße auf der
Rückseite der Hüttentür, und es war drei Monate her, dass sich die Markierung verändert hatte. Er hatte also seine volle Größe erreicht. Ich hatte gelobt zurückzukehren, sobald er groß war, und das war er jetzt. Wie hätte ich mir gewünscht, es irgendwie anders ausgedrückt zu haben: sobald er ein Erwachsener war, sobald er in sein eigenes Haus eingezogen war - irgendetwas, nur das nicht, das nun so schnell eingetreten war.
    Während der letzten drei Tage war der Wind jedes Mal angeschwollen, wenn ich nach draußen gegangen war, hatte mir gegen die Wangen gepeitscht und mir Strähnen aus dem Zopf gerissen. Selbst die Ebereschen schienen mir zuzuzischen. Als ich hinaustrat, um den Schmutzwassereimer in den Schweinetrog zu entleeren, und der Rittersporn unter den Bäumen vom Wind flachgedrückt worden war, wusste ich in meinem Inneren, dass es Zeit war zu gehen.
    Ich hatte Snow nie von dem Handel erzählt. Es war nicht nötig, dass er mit diesem Wissen aufwuchs. Er war eine glückliche Seele, ganz wie sein Vater, und die Ansiedlung war der sicherste Ort in der ganzen Domäne - vielleicht auf der ganzen Welt -, und er war so frei und ungebunden aufgewachsen, wie Kinder es sollten. Er hatte gelernt, jedem ins Auge zu sehen und nur diejenigen zu respektieren, die es verdient hatten. Er war bestens befreundet mit einer viel größeren Familie - vier Jungen und drei Mädchen -, die einen Steinwurf entfernt von unserer Hütte wohnte. Dort verbrachte er mehr Zeit als mit mir, und ich wusste, dass sie ihn aufnehmen würden, wenn er es wollte, und genauso liebevoll für ihn sorgen würden wie ich. Also ging ich am nächsten Morgen zu Cherry, der

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