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Die Hueterin der Geheimnisse

Die Hueterin der Geheimnisse

Titel: Die Hueterin der Geheimnisse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pamela Freeman
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schien es, während der Wasserlauf zwischen den Farnen wie lachend leise gluckste.
    Damals dachte ich und denke es noch immer, dass es ein Ort war, der es wert war, beschützt zu werden. Dass ich genauso gehandelt hätte, wäre ich ein Baumgeist gewesen, um ihn davor zu schützen, entweiht zu werden.
    Ich ging die Anhöhe hinab, trat an das Flussufer, wo ich seinerzeit dem Geist begegnet war, und stellte meinen Sack ab.
    »Ich bin gekommen, um meine Strafe zu bezahlen«, sagte ich. Nichts geschah. Keine Gestalt, keine Veränderung der Geräusche, gar nichts. Dann erinnerte ich mich wieder und schaute zu Boden.
    Da war das Wesen und wartete. Stumm. Es hob die Arme, und seine langen Finger zitterten, während es in der Sonne schimmerte, echt und zugleich unecht wirkend.
    In den alten Geschichten mussten die Worte noch einmal ausgesprochen werden, praktisch genau so wie zu der Zeit, in der der Handel abgeschlossen wurde. Also schöpfte ich
Luft und sagte: »Ich bin …«, aber dann hielt ich inne, weil ich nicht wusste, was ich sagen sollte. Ich hatte den Handel als Dila abgeschlossen, war nun jedoch Apple, und das gern. Ich starrte die Gestalt verwirrt an, und natürlich löste sie sich in Luft auf, als ich den Kopf hob.
    Ich schaute wieder zu Boden. »Ich weiß nicht, wie ich heiße«, sagte ich. Ich muss mich töricht angehört haben, aber es war die Wahrheit, und vielleicht hörte das Wesen die Wahrheit aus meiner Stimme heraus, denn es zischte - zu meiner Überraschung - lachend, wie ein Windhauch im Frühling, der spielerisch durch die Äste weht. Daraus schöpfte ich Hoffnung.
    »Ich war Dila, als ich auf deinen Handel einging. Aber jetzt bin ich Apple.«
    Der Geist zischte erneut, und dieses Mal war es wie der Wind, der vor einem Sturm aufkommt.
    »Ich weiß nicht, was ich dir sagen soll«, sagte ich. »Ich bin hier, um jedwede Strafe zu bezahlen, die ich bezahlen muss, damit mein Sohn in Sicherheit ist. Aber ich kann nicht zu dir sagen: ›Ich bin Dila‹, denn das bin ich nicht mehr.«
    Abwägend neigte das Wesen den Kopf zur Seite, und auch ich dachte darüber nach. War nichts von Dila in mir? Nur meine Liebe zu Lidi, dachte ich.
    Sein Zischen verstärkte sich, und nun war es eine Frage.
    »Es gibt da noch einen kleinen Teil in mir, der immer noch Dila ist«, räumte ich ein. Sollte ich sagen, welcher? Das Wesen wurde zunehmend ungeduldiger, das merkte ich. Um uns herum erhob sich der Wind, die Bäume begannen zu rauschen, und auf dem Wasserlauf bildeten sich kleine weiße Schaumkronen. »Meine Liebe zu meinem Mann. Er ist tot. Er starb, als ich noch Dila war, also ist dieser Teil von mir sie.«
    Das war eine magere Erklärung und klang in meinen Ohren
rührselig, aber das Wesen hielt inne, und der Wind erstarb. Einen Moment war die Lichtung ruhig, abwartend. Mir schmerzte allmählich der Nacken vom ständigen Hinabstarren. Dann streckte der Geist die Hand aus und legte sie mir auf die Brust. Auf Wiedersehen, Snow, dachte ich und hoffte - ich weiß noch, wie ich hoffte -, dass Lidi auf mich gewartet hatte und wir gemeinsam wiedergeboren werden könnten.
    Dann spürte ich … Oh, ich kann es nicht erklären. Eine Art Reißen in meinem Herzen, meinem Geist, in meinem ganzen Körper. Blut floss, aber nicht aus irgendeiner Wunde, sondern aus meiner Haut, meinen Augen, meinen Ohren. Es tat weh. Aber es war nicht unerträglich. Der Schmerz war nicht so schlimm wie bei einer Entbindung, nicht annähernd. Am seltsamsten war, dass das Blut nicht in meine Kleidung sickerte. Es floss über meine Haut und hinab auf den Boden, wo es verschwand, so wie der Geist verschwunden war, als ich ihm das erste Mal begegnet war.
    Der Geist nahm seine Hand weg.
    Da stand ich nun, unversehrt, ungezeichnet, das Blut hatte weder auf meinen Händen noch sonst irgendwo Spuren hinterlassen, der Schmerz verebbte, und ich war immer noch am Leben.
    Der Geist zischte voller Genugtuung und verschwand. Das war es.
    Benommen stand ich noch eine Weile herum, weil ich damit rechnete, dass irgendetwas geschehen würde. Doch das tat es nicht. Der goldene Tag schritt fort, und der Wasserlauf gluckste in seinem Bett vor sich hin, und ich stand da wie ein Einfaltspinsel auf der Wiese, während mir Tränen die Wangen hinabliefen, weil ich damit gerechnet hatte zu sterben, aber nun doch noch lebte.
    Langsam kletterte ich wieder aus dem Tal heraus, wobei
ich jeden einzelnen Moment genoss. Erst als ich den Felsgrat erreicht hatte und in das Tal

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