Die Hueterin der Geheimnisse
Sorn.
Dies war das erste Mal, dass er ihr schrieb, und er überlegte, dass er aus den Umständen lernen sollte. Die einzige Kommunikation zwischen ihnen würde in Zukunft diese Form haben, die Nachricht eines Offiziers an die Frau des
Kriegsherrn. Er unterschrieb sie förmlich mit »Euer ergebener Diener, Leof, Sohn von Eric«. Dies schrieb er in der Überzeugung, dass er, wenn auch sonst nichts, doch ihr Diener sein würde.
Sendat war einen Tagesmarsch entfernt, und sie konnten nicht darauf warten, bis die Fußsoldaten ankamen. Er bat sie, berittene Soldaten zu schicken und jedem von ihnen einen Pikenier an die Seite zu stellen. Es war zwar nicht einfach, zu zweit auf einem Pferd zu sitzen, aber es würde ja kein langer Feldzug werden, und die Straßen waren in gutem Zustand.
Als er in der Central Domain an die Macht gekommen war, hatte Thegan aus dem gleichen Grund viel Silber in die Ausbesserung der Straßen gesteckt wie zuvor schon in der Cliff Domain. Die Leute glaubten, es ginge ihm darum, den Handel und die Verbindung zwischen den Städten zu verbessern, doch Leof wusste, dass es eine Vorbereitung auf Situationen wie diese hier war, wenn eine große Zahl von Kriegern rasch vorrücken musste.
Nachdem er die Botschaften losgeschickt und sich ein Bild von Arrow gemacht hatte, nahm er dem verwirrten Koch in der Küche ein Stück kaltes Brathuhn aus der Hand und trat aus dem Hintereingang heraus, um auf einem verschlungenen, verborgenen Pfad dorthin zu gelangen, wo er die Windgeister hatte schweben sehen.
Auf dem kahlen Ackerland konnte man sich nicht besonders gut anschleichen, doch Leof war gut als Späher ausgebildet worden, und nachdem er das Huhn gegessen hatte, gelang es ihm, sich an die Seite des Hügels heranzuschleichen, in dessen Nähe sich der Zauberer aufhielt. Dabei hielt er Abstand zu dem Kreis, den die Windgeister endlos über der Erhöhung zogen.
Ein wenig hatte er damit gerechnet, dass Thegan Recht
behalten und er dem weißhaarigen Mann vom Teich begegnen würde. Auf jeden Fall ging er davon aus, dass ein solch machtvoller Zauberer alt sein musste. Sehr alt womöglich. Doch der Mann, der hier grub und Knochen sortierte, die er ans Licht befördert hatte, war etwa im gleichen Alter wie Leof selbst, fünfundzwanzig, achtundzwanzig, jedenfalls nicht älter als dreißig.
Leof war versucht, ihn einfach zu töten, bevor er weitere Geister erwecken konnte. Wie ein Krieger sah er nicht aus - er war zwar groß, aber nicht muskulös und wirkte nervös. Wenn er sich unerwartet einem Schwert gegenübersah, wäre der Zauberer wohl wehrlos, vermutete Leof.
Zwei Dinge hielten ihn davon ab. Wenn er scheiterte - wenn der Zauberer sich durch eine Art Bann geschützt hatte oder die Windgeister ihn beschützten -, hätte Thegan jedweden Überraschungsmoment verloren. Zum anderen wusste er einfach nicht genug über den Zauber der Geister. Vielleicht hatte der Zauberer sie ja irgendwie unter Kontrolle, und wenn diese Kontrolle wegfiel … Leof schauderte bei dem Gedanken, dass die Geister von Carlion auf den Rest der Domänen losgelassen wurden.
Also beobachtete er ihn nur. Der Zauberer schien sich vor den Windgeistern zu fürchten. Leof hatte angenommen, sie seien seine Diener. Aber den Blicken nach zu urteilen, die er über seine Schulter warf, während er arbeitete, traute er ihnen genauso wenig wie Leof. Während sie kreisten, riefen sie einander etwas in einer Sprache zu, die Leof noch nie zuvor gehört hatte, halb das Geräusch des Windes, halb Reden. Hin und wieder schossen sie auf den Zauberer nieder und lachten, wenn er zusammenschreckte. Aber offenbar respektierten sie sein Recht zu arbeiten und waren interessiert an dem, was er tat.
Er arbeitete, ohne eine Pause einzulegen, und folgte dabei
einem strengen Muster. Er nahm sich einen neuen Bereich vor, indem er den Torf mit einem spitzen Spaten in Vierecke stach und diese beiseitelegte, um danach tiefer zu graben, bis er auf Knochen stieß. Schließlich legte er den Spaten beiseite, nahm sich eine Kelle, barg damit jeden Knochen sorgsam und setzte Skelette zusammen. Von jedem Skelett nahm er dann einen Knochen, für gewöhnlich einen Fingerknochen. Über diesen Knochen beugte er den Kopf, manchmal länger, manchmal kürzer. Danach legte er den Knochen und das dazugehörige Skelett sorgsam wieder zurück in die Erde und vergrub sie, oder er verstaute den Knochen noch sorgsamer in einem Sack und vergrub nur das restliche Skelett. Die Arbeit war mühsam,
Weitere Kostenlose Bücher