Die Hueterin der Geheimnisse
aus uralten Zeiten auf der Wand«, erklärte Bramble. »Mit den Malereien von Auerochsen, Elchen und Rotwild.«
Die Bergleute wechselten Blicke und schüttelten den Kopf.
»So etwas haben wir hier noch nie gesehen«, sagte einer von ihnen. »Du etwa, Medric?«
Der Bergmann schürzte die Lippe und schüttelte ebenfalls den Kopf. »Nein«, sagte er. »Auch ich weiß nichts davon.«
Bramble spürte, wie sich ihr Magen zusammenkrampfte. Die Höhle musste hier sein. Sie war davon überzeugt gewesen, dass die Bergarbeiter sie entdeckt haben mussten.
»Da gibt es noch eine andere Höhle«, sagte sie. »Von dort aus müsste ich sie eigentlich finden …« Sie schaute zum Berghang hinauf und versuchte vergeblich, einen ihr bekannten Orientierungspunkt zu entdecken. Sie hatte diesen Hang doch erst vor wenigen Momenten gesehen, als Acton ihn hinaufgeritten war. Also musste sie sich doch an irgendetwas erinnern können, oder nicht? Dieser große Gipfel, ja, aber er war jetzt kilometerweit entfernt … tausend Jahre Bergbau hatten die Flanke des Bergs so verändert, dass sie nicht mehr wiederzuerkennen war. Das Gebiet, in dem Dottas Höhle gelegen hatte - dort war jetzt der Eingang des Bergwerks. Im Inneren waren keine Höhlen, sondern nur Tunnel, so breit, dass Loren darin geschoben werden konnten.
Allmählich bemächtigte sich ihrer die Verzweiflung, doch sie unterdrückte das Gefühl. »Wer kennt die Höhlen am besten?«, wollte sie wissen.
Schweigen breitete sich aus, doch alle schauten dabei Medric an. Er stellte seine Spitzhacke ab und starrte diese an, als wolle er den Blicken der anderen ausweichen.
Sami räusperte sich. »Meinst du, du könntest ihn finden, Medric?«
Medric holte Luft und stieß sie dann wieder aus, als sei er unschlüssig, was er antworten sollte. Dann zuckte er mit den Schultern. »Wenn ich ihn rufe, kommt er vielleicht«, sagte er schließlich in einem Tonfall, der alles offen ließ.
»Wer?«, fragte Bramble.
»Ein Freund. Fursey. Er, äh … er lebt hier drinnen.« Medric deutete mit einer Bewegung seines Kopfes auf den Berg.
»Ein Mensch?«, wollte Bramble wissen.
Ein paar der Männer schauten betreten zu Boden, als seien sie unsicher, was sie auf diese Frage antworten sollten. Ein kleinerer Mann grinste und sagte: »Nun, wir haben da unsere Zweifel.« Als Medric ihm einen zornigen Blick zuwarf, verstummte er.
»Ein Mensch«, bestätigte Medric.
Sie war froh über diese Bestätigung und folgte Medric mit seiner Laterne den Tunnel hinunter. Sie spürte das Gewicht der Erde über sich, nahm die absolute Finsternis von unter Tage zum ersten Mal am eigenen Leib wahr. Als sie durch Gris’ Augen geschaut hatte, war ihr die Dunkelheit nicht so undurchdringlich vorgekommen.
Er führte sie eine längere Strecke hinab durch Gänge, die zuweilen so niedrig waren, dass sie sie nur auf allen vieren passieren konnten. Manchmal kamen sie durch Hohlräume, in denen das Echo ihrer Schritte von der Höhlendecke widerhallte. Endlich blieben sie in einer kleinen Höhle, nein,
es war ein Tunnel, stehen. Bramble entdeckte Markierungen von Spitzhacken und Meißeln an den Felswänden. Dies war der tiefste Punkt der Grube, aber es gab Spalten im Fels, Durchgänge wie jene, die Dotta ihr gezeigt hatte, die noch tiefer führten. Medric stellte die Laterne ab und verharrte einen Moment, als müsse er erst all seinen Mut zusammennehmen.
»Fursey!«, rief er leise. »Fursey! Ich bin wieder da!«
Er wartete einen Moment und rief dann noch einmal und dann ein weiteres Mal.
Schweigen. Die Erde über ihnen schien schwerer auf ihnen zu lasten. Medric überprüfte die Kerze in der Laterne - sie war mehr als zur Hälfte heruntergebrannt. Er presste die Lippen zusammen und stieß einen Seufzer aus. »Fursey«, rief er erneut, dieses Mal jedoch widerstrebend. »Ich brauche deine Hilfe.«
Nichts.
Frustriert erhob er die Stimme. »Hier sterben Menschen, Fursey, und ich brauche deine Hilfe!« Das Echo hallte von den Tunnelwänden wider, sodass das ganze Bergwerk »Hilfe, Hilfe, Hilfe …« zu flüstern schien.
Medric wandte sich Bramble zu und zuckte mit den Schultern. »Wenn er nicht helfen will …«
Hinter ihm tauchte aus der schmalsten aller Felsspalten eine schmächtige Gestalt auf. Ein Mann. Ja, es war ein Mensch, davon war Bramble überzeugt, doch die Art, wie er sich bewegte, erinnerte sie irgendwie an den Jäger. Er starrte Medric einen Moment lang so an, wie man ein Bild völliger Verwüstung anstarren
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