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Die Hueterin der Geheimnisse

Die Hueterin der Geheimnisse

Titel: Die Hueterin der Geheimnisse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pamela Freeman
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und anderem kleinen Tieren. Die Bäume waren riesig, vor allem die Scheinbuchen, eine Art, die sie zuvor noch nie gesehen hatte. Ihre gewaltigen Äste streckten sie gen Himmel aus. Es nahm mitunter Minuten in Anspruch, um von einer Seite des Blätterdachs eines Baumes zur anderen zu kommen. Die Hufe der Pferde schritten über den federnden Waldboden, auf dem das Laub aus dem vergangenen Herbst lag, und der berauschende, angenehme Geruch von feuchter Frühlingserde ließ Bramble wie auf Wolken schweben.
    Je länger sie ritten, desto mehr Eichen säumten ihren Weg und desto seltener wurden die anderen Bäume. Schließlich waren sie mitten in einem reinen Eichenwald. Es waren gewaltige, uralte Bäume, deren Laubdach kaum einen Sonnenstrahl zum Waldboden durchdringen ließen, genau wie zuvor die Kiefern. Dennoch wirkte dieser Teil des Waldes nicht düster. Das Grün der Eichenblätter und die Art, wie sie sich im Wind wiegten, ließen kleine Lichtpunkte über den Boden
zwischen den Bäumen tänzeln. Dort wuchsen Gras und kleine Blumen. Es gab Schneeglöckchen, Schlüsselblumen und Osterglocken.
    Eigentlich hätte diese Umgebung Bramble mit Glück erfüllen sollen, doch unter der sichtbaren Oberfläche nahm sie noch etwas anderes wahr. Das Gefühl, belauscht zu werden, war ganz deutlich. Beobachtet nicht wirklich, denn der Wald besaß keine Augen. Aber er hatte seine Aufmerksamkeit auf sie gerichtet, und dieses Gefühl war nicht angenehm. Es war vergleichbar mit dem Druck, den die Götter in ihrem Kopf hervorriefen, nur viel fremdartiger. Das Gefühl von Zeit - endloser, unveränderlicher Zeit - war sehr stark und führte dazu, dass sie sich wie eine Eintagsfliege vorkam, so kurzlebig, dass ihr Leben keinen Pfifferling wert war. Sie und ihre Gefährten wurden hier bloß geduldet, und das auch nur, weil sie die wiedergeborene Jagdbeute war.
    Der Wald akzeptierte das Töten und dessen Folgen. Das Flattern von Vögeln über ihnen, das Summen der Insekten, das Geraschel von Tieren im Unterholz, das alles waren sowohl Geräusche des Todes wie auch des Lebens. Jedes dieser Tiere jagte und wurde gejagt. Bramble hatte immer akzeptiert, dass sie Teil eines großen, verschlungenen Netzes aus Leben und Tod war, aus Beute und Raubtier. Aber nun erkannte sie, dass sie es deshalb als selbstverständlich betrachtet hatte, weil sie bisher immer das Raubtier gewesen war.
    Sie beschloss, diese Rolle auch weiterhin einzunehmen. Die Beute hatte Angst, und Bramble hatte bereits von dem Jäger erfahren, dass es im Wald gefährlich war, Angst zu haben.
    Vor ihnen endete der Weg an einem großen Kreis, der offenkundig gerodet worden war, damit Fuhrwerke auf ihm umdrehen konnten, mochten auch Gestrüpp und Schösslinge
auf der Lichtung emporsprießen. Dahinter befand sich nur Wald.
    »Warum sollte jemand mit einem Fuhrwerk den ganzen Weg hierher fahren und dann einfach nur umdrehen und umkehren?«, fragte sich Zel laut.
    »Kein Fuhrwerk«, erwiderte Cael. »Ein Schlitten. Im Winter lassen die Fallensteller sich bis hierhin ihre Vorräte bringen. Sie kommen zum Schlitten, und dann kehrt er wieder um.« Das Reden bereitete ihm ein wenig Mühe, da seine Brustverletzung ihn nach wie vor schmerzte. Safred wirkte besorgt, sagte jedoch nichts.
    »Also«, sagte Bramble. »Wohin jetzt?«
    »Der See liegt östlich des Nordens von Oakmere«, sagte Safred unschlüssig. Ihre Augen bewegten sich unkoordiniert wie immer, wenn sie den Stimmen der Götter lauschte. Enttäuscht schüttelte sie dann den Kopf. »Mehr weiß ich nicht.«
    Bramble wies nach vorn und zu ihrer Rechten. »Das ist dort entlang.«
    »Das ist aber nicht östlich des Nordens«, wandte Cael ein.
    »Nein. Dem Weg folgend, sind wir ein bisschen abgeschwenkt. Aber es ist östlich des Nordens von Oakmere aus.«
    »Woher weißt du das?«, fragte Zel. Die Frage überraschte Bramble. Sie hatte geglaubt, alle Wanderer besäßen einen guten Orientierungssinn. Ihren jedenfalls hatte sie mit Sicherheit von ihrem Großvater, einem Wanderer, geerbt. Nur ein einziges Mal hatte er sie im Stich gelassen, im Kiefernwald in der Nähe des Sees, und selbst dort war sie fast immer in der richtigen Richtung unterwegs gewesen. Ihre Gewissheit zu begründen fiel ihr erstaunlich schwer.
    »Ich weiß es einfach«, sagte sie.

    Cael zuckte mit den Schultern. »Also gut«, sagte er. »Dann gehen wir eben dort entlang.«
    Sich einen Weg durch den Wald zu bahnen dauerte wesentlich länger als zuvor der Ritt auf dem Pfad.

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