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Die Hueterin der Geheimnisse

Die Hueterin der Geheimnisse

Titel: Die Hueterin der Geheimnisse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pamela Freeman
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Nachmittag hatte Ash es allmählich satt, immerzu »Zel sagt« zu hören.
    Fern der üppigen Flussebenen war das Tal felsig und mit Fichten und Birken, aber auch Pappeln, die dem Tal seinen Namen gaben, bewaldet. Der nach Osten verlaufende Trampelpfad schlängelte sich an Hängen der Gebirgsausläufer hoch und wieder hinab. Diese waren für ein solch besiedeltes und blühendes Tal erstaunlich zerklüftet.
    »Ich denke, wir liegen richtig«, versicherte ihm Flax. »Bei Tageslicht ist es ein schöner Ritt, sagt Papa. Eine Gelegenheit, mal von den Straßen weg- und in den Wald hineinzukommen.«
    Rowan und Swallow, Ashs Eltern, hielten sich an die üblichen
Pfade, an jene Straßen, an denen große Gasthäuser lagen, wo sich Silber verdienen ließ. Die Vorstellung, einen »schönen Ritt« durch den Wald zu machen, war Ash fremd. Ein einziges Mal war er abseits der Straßen gewesen, nämlich an dem Tag, als sein Vater ihn mit in die Tiefe genommen hatte.
    An die Tiefe auch nur zu denken fühlte sich falsch an. Das war das Ergebnis dessen, was man ihn gelehrt hatte, was man alle Jungen gelehrt hatte: Wenn du wieder gehst, wische sie aus deinen Gedanken wie Kreide von einer Schiefertafel. Sie existiert nicht. Redet nicht untereinander darüber, denkt nicht einmal darüber nach. Falls Actons Leute es herausbekämen, auch nur geflüstert hörten, dass sich Wanderer dort heimlich treffen, käme es zu einem Massaker. Ash wusste, dass dies der Wahrheit entsprach. Er war schon häufig genug an Weggabelungen mit Galgen und Steinpressen vorbeigekommen, aus denen das Blut der darin Hingerichteten hervorquoll. So etwas fügten Kriegsherren Übeltätern zu, sogar den eigenen Leuten. Gegenüber Wanderern, die der Verschwörung verdächtig waren, würde man keine Gnade walten lassen.
    Jungen oder auch Männer, die über die Tiefe geredet hatten, wurden ihr ganzes Leben lang geächtet und aus der Wanderergesellschaft ausgestoßen, fast so, als hätten sie die Pest. Lange hielten sie das nicht aus, und Rowan hatte einmal ernsthaft dazu gesagt: »Wir vom alten Blut brauchen einander, und ohne diesen Kontakt … werden wir krank oder, schlimmer noch, sterben.« Ash erinnerte sich an einen Mann, einen Trockensteinmaurer, der wie ein Geist die Domänen durchwanderte und zu niemandem sprach außer mit den Ladenbesitzern, die ihn widerwillig, wie jeden Wanderer, bedienten. Schließlich ging er nicht einmal mehr in die Geschäfte. Am Ende stürzte er sich von einem Kliff und
brach sich das Genick oder ertrank in dem tiefen grünen Wasser. Er war so abgemagert und hatte so gehetzte Augen wie ein Gespenst. Ash hatte er leidgetan, doch sein Vater sagte in jenem Ton, der keinen Widerspruch duldete, weil er so selten benutzt wurde: »Lass ihn, Ash.« Leise erklärte er dann: »Er hat zu viel geredet.« Da dies in dem Jahr nach Ashs erstem Besuch in der Tiefe geschah, begriff er, und seine Augen weiteten sich vor Erstaunen, dass jemand sich den Dämonen hatte widersetzen können.
    In den alten Zeiten waren jene, die geredet hatten, und sei es auch nur untereinander, von den Dämonen zur Strecke gebracht und getötet worden. Dieser Tod wäre vielleicht besser gewesen, dachte Ash. Immerhin ging es schnell.
    Ash stellte das Verbot nicht infrage. Denn dadurch war die Tiefe seit tausend Jahren in Sicherheit, und die Tiefe war alles, was ihnen noch geblieben war.

    Den ganzen Morgen über begegneten sie niemandem, nicht einmal einem Köhler.
    »Zel sagt, die Leute aus dem Tal kommen hier nicht so häufig her. Sie fürchten sich vor Bären und Wölfen, sagt sie.«
    Danach gab Ash noch mehr Acht und entdeckte tatsächlich auf einer Lichtung Bärenexkremente. An dem kleinen Teich, an dem sie rasteten, um die Pferde zu tränken, stießen sie auf Spuren von Wölfen. Cam und Mud weigerten sich, dort zu trinken, bewegten sich mit weit aufgerissenen Augen unbehaglich hin und her. Flax besänftigte sie und zitierte erneut seinen Vater.
    »Papa sagt, wenn sie Wölfe wittern, finden sie überhaupt keine Ruhe mehr.« Daher setzten sie ihre Reise rasch fort und aßen im Sattel. Heron hatte ihnen Speckrollen gemacht und darüber hinaus noch weitere Lebensmittel eingepackt,
die ein paar Tage reichen würden: Hartkäse, Trockenäpfel und flache Kekse.
    Bei Sonnenuntergang waren sie bis weit ins Golden Valley vorgedrungen und fanden an einem Wasserlauf einen Lagerplatz, der von Birken gesäumt wurde. Ash wäre fast an ihm vorbeigeritten, bis ihm einfiel, dass es ihm zukam,

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