Die Hueterin der Krone
Schuhe einer Königin. Sie hatte sie seit dem letzten Fest bei Hof an Henrys Seite nicht mehr getragen. Danach war er zur Jagd aufgebrochen und nie zurückgekehrt.
Den Morgen hatte sie mit ihrem Kaplan Herman im Gebet vor dem Altar in der Kapelle von Arundel verbracht, und obwohl sie sich längst von ihren Knien erhoben hatte, betete sie in Gedanken weiter.
»Gott, hilf mir«, flüsterte sie. »Heile mein Herz und hilf mir, das Rechte zu tun.« Sie war immer noch nicht sicher, ob sie wirklich wieder eine gehorsame Ehefrau werden wollte. Früher hatte sie nie ganz nachvollziehen können, wie Matilda zumute gewesen war, als sie Geoffrey of Anjou hatte heiraten müssen, doch jetzt verstand sie es besser – was kein Trost war, wusste sie doch, wie es um Matildas und Geoffreys Ehe stand.
Sie trat einen Schritt vor, dann noch einen, und sah zu, wie ihre Schuhe unter dem Saum ihres silbernen Seidengewandes verschwanden und wieder auftauchten. Gott wollte, dass sie diesen Weg beschritt, sonst hätte Er ihr nicht Will geschickt. Er war ein guter Mann, auch wenn er Stephen die Treue hielt. Es war an ihr, mit Gottes Hilfe einen Ausweg aus dieser Situation zu finden. Will hatte ihr Frieden und Nachkommen versprochen. Die Aussicht auf Letzteres trieb sie an und hielt sie zugleich zurück. Sie sehnte sich danach, schwanger zu werden, hatte aber Angst, dieser Fall könne nie eintreten. Fünfzehn Jahre als unfruchtbare Frau eines Mannes, der fast bis zum Moment seines Todes noch Bastarde gezeugt hatte, hatten ihre Hoffnungen gedämpft und Narben auf ihrer Seele hinterlassen.
Will wartete mit den Baronen und Rittern des Albini-Haushalts und einer Schar von Hochzeitsgästen, darunter auch der König, an der Kirchentür auf sie. Der Bischof von Worcester hielt sich bereit, die Zeremonie durchzuführen. Sein Chorrock schimmerte im Sonnenlicht so weiß wie eine Möwenbrust. Goldfäden blitzten darin auf. Mit hoch erhobenem Kopf und gesenktem Blick ging sie weiter.
Will trat vor, um ihre Hand zu nehmen, und wie im Garten von Wilton spürte sie die Wärme und Kraft, die er verströmte und auf sie übertrug. Als sie zu ihm aufsah, konnte sie seinen intensiven Blick kaum ertragen. Henry hatte sie kein einziges Mal so angeschaut.
»Du wirst immer eine Königin sein.« Sein Blick wanderte zu dem filigranen Krönchen, das ihren leichten Seidenschleier hielt.
Adeliza spürte, dass sie, eine reife Frau von fünfunddreißig Jahren, wie ein junges Mädchen errötete.
Die Eheschließung fand in aller Öffentlichkeit draußen vor der Kirchentür statt. Dann strömten die Gäste in den Innenraum, um der Hochzeitsmesse beizuwohnen. Viele der heute Anwesenden hatten schon an ihrer Hochzeit mit König Henry teilgenommen, und sie hatte sie gleichfalls in Reading bei seiner Beerdigung gesehen, aber daran wollte sie nicht denken. Heute war ein Festtag.
Bei dem auf die Messe folgenden formellen Fest nahm sie die Glückwünsche der Gäste entgegen und wünschte sich dabei weit weg. Sie fragte sich, ob das Lächeln der Leute echt oder aufgesetzt war. Freuten sie sich für sie, oder kostete es sie Anstrengung, gute Miene zum bösen Spiel zu machen? Lächelten sie auch noch, wenn sie ihr den Rücken zukehrten?
»Ich hoffe, ihr werdet glücklich miteinander.« Stephen küsste sie auf beide Wangen. »William D’Albini ist ein anständiger Mann, und als mein neuer Earl of Lincoln wird er Euch nach Kräften beschützen, nicht wahr?« Er klopfte Will auf die Schulter.
Nach Kräften bewachen trifft es wohl eher, dachte sie, wobei sie ihre Antipathie gegen Stephen hinter einem gequälten Lächeln verbarg. Nun, das würde sich finden. Er mochte sich Wills Treue ja sicher sein, aber er teilte nicht wie sie bald sein Bett und sein Leben. Sie musterte Stephen forschend. Er wirkte verhärmt, und sein Gesicht wies tiefe Furchen der Erschöpfung auf. Vielleicht stellte er allmählich fest, dass eine Krone auf dem Haupt eine schwerere Bürde darstellte als erwartet. Vielleicht schlief er nachts nicht mehr gut. Auf jeden Fall war er nicht imstande, in Henrys Fußstapfen zu treten.
»Gewiss, Sire«, erwiderte sie höflich.
Stephens kleine, untersetzte Frau Maheut küsste sie gleichfalls. »Euer Leben wird ja nun ganz anders verlaufen als zuvor«, sagte sie. »Aber Ihr werdet das Beste daraus machen, das weiß ich.«
Adeliza murmelte eine unverbindliche Antwort. Ihr Magen krampfte sich zusammen. Einst hatte sie wie Maheut über die Macht einer Königin von England
Weitere Kostenlose Bücher