Die Hueterin der Krone
die Hüften gestemmten Händen um. Er war nach Domfront geritten, um sich von ihr zu verabschieden und ihre Söhne in seine Obhut zu nehmen. Doch darüber wollte Matilda lieber nicht nach denken. Sie konnte nicht leugnen, dass Geoffrey ein guter Vater war, aber sie war maßgeblicher als er an der Erziehung der Jungen beteiligt gewesen, und es tat ihr weh, sie ihm überlassen zu müssen.
»Es ist alles bereit.« Er trat zur Seite, damit die Diener die letzten Gepäckkisten hinaustragen konnten.
Sie wartete ungeduldig, während die Zofen ihr einen warmen Umhang um die Schultern legten, dann drehte sie sich zu dem durch die offenen Fensterläden hereinströmenden Licht. »Henry«, rief sie. »Henry, komm her. Es ist Zeit, ich muss gehen.«
Er stand von seinem Spielbrett auf und kam, dem Lichtstreifen folgend, auf sie zu. Ernst blickte er zu ihr auf. Seine Augen waren grau, aber wie bei Geoffrey leuchteten darin grüne Sprenkel.
»Pass im Unterricht gut auf und tu, was dein Vater dir sagt«, ermahnte sie ihn. »Du musst jetzt ein großer, tapferer Junge sein.«
Henry nickte nachdrücklich. »Kann ich auch bald nach England kommen?«
»Sobald du alt genug bist. Eines Tages wirst du als König dort herrschen, deshalb ist es wichtig, dass du Land und Leute kennen lernst.« Sie beugte sich zu ihm und strich über sein schimmerndes Haar. »Kümmere dich um deine Brüder. Ich werde dir oft schreiben, und dein Vater wird mir von deinen Fortschritten berichten.« Sie küsste ihn auf beide Wangen und richtete sich auf. Ihr Herz schwoll vor Stolz, weil Henry weder weinte noch sich bockig zeigte. Schon in dem kleinen Jungen konnte sie den zukünftigen König erkennen – aber nur, wenn sie ihm den Weg ebnete.
Sie trat zu seinen Brüdern, um sich auch von ihnen zu verabschieden. Heute waren sie alle hier versammelt, doch ansonsten lebte der kleine Geoffrey bei seinen Zieheltern in Anjou. Die Entscheidung, die Kinder nicht gemeinsam aufwachsen zu lassen, war bewusst getroffen worden; auf diese Weise erhöhte sich die Chance, dass im Falle einer Krankheit oder eines Anschlags ein oder zwei Jungen am Leben blieben. Doch daher war Geoffrey jetzt fast ein Fremder für sie, und in den Abschiedskuss, den sie ihm gab, mischte sich eine leise Trauer, weil sie ihm kaum kannte. Ihr dritter, erst drei Jahre alter Sohn begriff noch nicht ganz, was sich hier abspielte, und ließ ihre Umarmung zappelnd und mit einer Grimasse über sich ergehen. Matilda wusste, dass sie die Tränen nicht zurückhalten konnte, wenn sie ihren Gefühlen freien Lauf ließ, also verhärtete sie ihr Herz. Sie hatte selbst als Kind schon gelernt, dass das Leben in erster Linie aus der Pflicht bestand, ständig Abschied zu nehmen.
Endlich wandte sie sich ihrem Mann zu, der sie mit einem rätselhaften Ausdruck in den Augen beobachtete. Halb rechnete sie mit bissigem Spott, aber er sagte nur ruhig: »Du bist eine Kaiserin und eine wahre Königin. Nur du kannst vollbringen, was vollbracht werden muss. Jetzt hast du die Gelegenheit zu beweisen, was in dir steckt.« Er nahm ihre Hände und gab ihr den formellen Friedenskuss auf beide Wangen, so wie sie kurz zuvor ihren Söhnen. Doch dann verstärkte er seinen Griff, und seine Lippen pressten sich hart auf ihren Mund. Danach fügte er mit einem gezwungenen Lächeln hinzu: »Ich werde dich vermissen.«
»Ich wünschte, ich könnte umgekehrt dasselbe behaupten«, gab sie zurück. Sie war innerlich aufgewühlter, als sie zugeben mochte, weil sie sah, dass auch er Mühe hatte, sich seine Gefühle nicht allzu deutlich anmerken zu lassen. »Aber ich werde dich in meine Gebete einschließen.«
Geoffrey schnaubte. »Das solltest du auch. Dir mag ja an meiner Person nicht viel liegen, meine geliebte Frau, aber du brauchst mich als deinen Stellvertreter in der Normandie und Erzieher unserer Söhne. Ich werde dich auch in meine Gebete aufnehmen.«
Matilda riss sich zusammen, ging in den Hof hinunter und ließ sich von Alexander de Bohun in den Sattel helfen. Als sie nach den Zügeln griff, schien es ihr, als habe sie soeben ihr Schicksal in die Hände genommen. Sie sah ein letztes Mal zu ihren Kindern hinüber, ihre Augen ruhten kurz auf Henry, dann blickte sie nach vorne und drehte sich nicht mehr um, obwohl ihr Herz bleischwer war.
32
Arundel, September 1139
Die herbstliche Flut strömte rasch auf das Ufer zu und in die Mündung des Flusses Arun, als Matildas Flotte über den Kanal glitt. Matilda betrachtete die näher
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