Die Hueterin der Krone
hielt in Gloucester Hof, als ein erschöpfter Bote ihr die Neuigkeiten bezüglich Lincoln und die Nachricht überbrachte, dass Stephen seinen Hof in Windsor verlassen hatte und gen Norden ritt, um die Situation zu klären.
»Das ist die Gelegenheit für uns, Stephen zu stürzen.« Roberts Augen leuchteten vor Jagdfieber. Ranulf of Chester war sein Schwiegersohn, und er arbeitete schon lange daran, ihn gegen Stephen aufzubringen.
Matilda schob stirnrunzelnd die Unterlippe vor. »Ranulf of Chester und William de Roumare sind verschlagene Heuchler, die einen hohen Preis für ihre Loyalität fordern werden. Dass sie Lincoln eingenommen haben, muss nicht unbedingt einen kompletten Sinneswandel bedeuten. Sie sind nur auf ihren eigenen Vorteil bedacht.«
»Aber wenn sie Stephen aufhalten können, haben wir in Lincoln zumindest einen Fuß in der Tür. Hugh Bigods Sympathie für Stephen schwindet merklich, obwohl er zu den Ersten gehört hat, die ihm die Treue geschworen haben. Es könnte sich lohnen, ihm die Grafschaft Norfolk anzubieten, um uns seine Hilfe zu sichern. Er ist skrupellos, eigensüchtig und nicht vertrauenswürdig, aber wenn wir ihn dazu bewegen, sich von Stephen abzuwenden, kann uns das nur nutzen.«
Matilda rieb sich ihre schmerzende Stirn. Obwohl die Neuigkeiten viel versprechend klangen, kam es ihr noch immer so vor, als versuche sie, mit Gewichten an den Füßen durch einen kalten, dunklen See zu schwimmen. Ihr fehlte es ständig an Geld, und sie wusste nur zu gut, dass Männer, die heute lä chelnd vor ihr niederknieten, ihr vielleicht schon morgen ein Messer in den Rücken stießen und sie im Stich ließen. Die, die ihr die Treue hielten, hatten nichts zu verlieren. Manchmal fragte sich, ob es das alles wert war, aber dann nahm sie sich zusammen. Sie tat es für ihren Sohn und dessen Söhne (mochte der Himmel verhüten, dass es Töchter wurden), die eine ins Unendliche reichende Blutslinie bilden würden, aber nur, wenn sie nicht aufgab. »Tu alles, was du kannst«, sagte sie.
Robert legte ihr eine Hand auf die Schulter und verließ das Zimmer. Brian, der bislang schweigend zugehört hatte, ergriff das Wort.
»Ihr werdet diesen Kampf gewinnen, Herrin.«
»Werde ich das?« Sie trat zum Kamin und rieb sich die Arme.
»Ganz gewiss.«
»Das sind Gemeinplätze«, sagte sie gereizt.
»Hoffentlich nicht, denn dann gäbe ich mich Illusionen hin.«
Sie drehte sich zu ihm um. »Ich möchte Erfolg haben, Brian«, sagte sie hitzig. »Ich wünsche ihn mir so sehr, dass ich mit dem, was ich tief in meinem Inneren empfinde, die Welt in Brand setzen könnte.« Um ihrem Worten Nachdruck zu verleihen, presste sie eine Hand auf ihren Bauch. »Manchmal meine ich, es verzehrt mich, bis nichts mehr von mir übrig ist. Ihr sagt › ganz gewiss ‹ , und am liebsten würde ich Euch anbrüllen, weil das die glatten Worte eines Höflings sind.«
»Ich dachte, das wäre alles, was Ihr von mir wollt«, erwiderte er steif. »Aber wenn Ihr wünscht, dass ich sage, ich würde für Euch durch einen Feuersturm gehen, dann will ich das gern tun.«
Matilda zog sich wieder hinter ihren Schutzschild zurück. Was sie von ihm wollte, konnte sie nie bekommen, und sie war zu vernünftig, um ihn zu fragen, was er sich wünschte. »Habt Ihr sonst nichts zu tun?«, sagte sie schroff.
Einen Moment lang herrschte angespannte Stille. Dann sagte er: »Herrin«, und ging hinaus. Ein kalter Luftzug kam herein, als die Tür sich schloss. Matilda starrte lange in den Kamin, bevor sie ihre Gedanken Lincoln zuwandte und überlegte, was ein Sieg über Stephen für sie bedeutete.
38
Lincoln, Februar 1141
Will stand inmitten einer Schar von Stephens Baronen im Kirchenschiff der Kathedrale von Lincoln, wo sie sich versammelt hatten, um das Fest Mariä Lichtmess zu begehen. Es war so kalt, dass sein Atem eine weiße Wolke bildete. Gott sei Dank bot die Kirche Schutz vor dem beißenden Wind und den gelegentlichen Eisregenschauern. Es brannten zahlreiche Kerzen und Lampen, wie es sich für ein Fest des Lichts schickte. Der Duft von Weihrauch und Bienenwachs, das Parfüm Gottes, überlagerte den muffigen Geruch der kalten und feuchten Steine.
König Stephen belagerte die Burg von Lincoln seit mehreren Wochen und machte langsame Fortschritte, aber jeder Vorstoß kostete viel Zeit und Geld. Aufgrund seiner Fähigkeiten als Architekt und Baumeister hatte Will die Belagerungsgeräte befehligt, die die Burgmauern unter Beschuss nahmen. Bislang hielt
Weitere Kostenlose Bücher