Die Hueterin der Krone
wie der Rand in ihr Fleisch schnitt.
Brian beugte sich zu FitzGilbert. »Vielleicht läuten die Glocken zum Gruß?«
»Nein, Mylord.« Die blauen Augen des Marschalls hatten einen harten Ausdruck. »Die Berichte über einen Aufstand stammen von unseren Anhängern in der Stadt, die vor dem Mob flüchten. Die Glocken rufen die Leute zusammen, und Stephens Frau weiß nun, dass sie mit ihrer Flamen-Armee in London einziehen und mit Unterstützung rechnen kann. Ich habe Befehl gegeben, die Pferde zu satteln. Wenn wir jetzt nicht fliehen, werden wir überrannt und überwältigt.«
Fast krank vor hilfloser Wut funkelte Matilda den Marschall an und ließ ihren Zorn an ihm aus, weil er den Oberbefehl über ihre Ritter hatte und für die militärische Ordnung verantwortlich war. »Ich weigere mich, mich vom Londoner Pöbel und einer Söldnerarmee aus meinem rechtmäßigen Herrschaftsgebiet aus der Halle meines Vaters vertreiben zu lassen! Jeder Mann, der zur Flucht rät, ist ein Feigling!«
FitzGilbert stand stocksteif da. »Herrin, ich würde jeden töten, der mich einen Feigling nennt. Aber ich blicke der Realität ins Gesicht und sage, dass wir nicht bleiben können. Wir sind für einen Kampf nicht gerüstet und können unseren Feinden keinen Widerstand leisten, wenn Stephens Frau eintrifft. Es ist besser, sich nach Oxford oder Devizes zurückzuziehen und von dort aus zu handeln.«
Matilda schob das Kinn vor. »Nein!«
»Seid Ihr ganz sicher?«, fragte Brian. »Kann es sich nicht um ein falsches Gerücht handeln?«
Der Marschall musterte ihn mit ungläubiger Verachtung. »Sire, hätte ich Zweifel gehabt, hätte ich kaum Euer Mahl gestört.« Er deutete zur Tür. »Es steht Euch frei, mit dem Mob zu verhandeln, nur werdet Ihr feststellen, dass diese Leute Speere und Schwerter sprechen lassen wollen.«
Robert, der den Wortwechsel aufmerksam verfolgt hatte, erhob sich. »Wir sollten den Rat des Marschalls befolgen«, sagte er zu Matilda. »Wir sind in der Tat nicht für einen Kampf gerüstet und können es uns nicht leisten, dass du gefangen genommen wirst. John, bildet Ihr die Nachhut?«
»Sire.« Der Marschall verneigte sich und bellte schon beim Verlassen des Podestes Befehle.
Erschüttert und vor Wut kochend, nahm Matilda ihre Krone ab und wickelte sie zusammen mit ihrem goldenen Becher und Löffel und Brians Silberpenny in das bestickte Tuch, das neben ihrer Platte lag. Als Robert und John sie aus der Halle führten, zwang sie sich, sich nicht umzublicken, denn das wäre einem Abschied gleichgekommen. In der Stadt läuteten unaufhörlich die Kirchenglocken. Aus jedem Viertel hallte ihr unmissverständliche Zurückweisung entgegen.
Ein Stallbursche hielt ihre Stute bereit, und Brian half ihr in den Sattel, bevor er zu Sable trat. Überall ringsum stiegen Männer auf ihre hastig gesattelten Pferde und ergriffen die Flucht. Auch die Diener flohen, einige zu Pferde, andere zu Fuß. Viele trugen Schürzen oder zusammengeknotete Tücher mit Speisen bei sich, die für das Bankett bestimmt gewesen waren. Matilda konnte noch immer kaum glauben, was sich hier abspielte, aber ihr Marschall gab ihrer Stute und Sable einen Schlag auf das Hinterteil, woraufhin beide Pferde vorwärtsschossen. Matilda schwankte im Sattel, packte die Zügel und klammerte sich fest. In der Ferne erklang lautes Rufen und bedrohliches Waffengeklirr, gefolgt von einem Schrei.
»Ich lasse nicht zu, dass sie mich vertreiben, ich lasse es nicht zu«, knirschte sie mit zusammengebissenen Zähnen, als sie schon durch das Tor auf die Straße hinausjagte. Sie malte sich aus, wie sie die Stute herumriss, aber es blieb bei der bloßen Vorstellung, weil auch sie die Flut nicht mehr aufhalten konnte.
Der Marschall lenkte seinen schweißbedeckten weißen Hengst neben ihre Stute.
»Madam, wir müssen schneller reiten!«, rief er, das Hufgetrommel übertönend. »Sonst werden wir bald in einen blutigen Kampf verstrickt!«
»Ich werde die Halle meines Vaters und alles, was rechtmäßig mein ist, nicht fluchtartig verlassen!«, brauste sie auf.
»Dann wird man Euch und jeden Mann in Eurer Begleitung gefangen nehmen. Wollt Ihr das wirklich?«
Sie maß ihn mit einem vernichtenden Blick, versetzte der Stute aber mit den Zügeln einen Schlag auf den Hals. Das Tempo machte es ihr unmöglich, noch etwas zu sagen, weil sie sich auf das Reiten konzentrieren musste, aber innerlich drohte sie an ihrer Wut fast zu ersticken.
42
Oxford, Sommer 1141
Matilda zog sich
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