Die Hueterin der Krone
sie mussten noch einmal zwanzig Meilen zurücklegen, bevor sie in Devizes endgültig in Sicherheit waren.
Als Ludgershall in Sicht kam, hielt sich Matilda nur noch mit letzter Kraft im Sattel. Die Innenseiten ihrer Schenkel waren wundgescheuert, ihr Rücken schrie nach einer Ruhepause, und sie konnte an nichts anderes denken als an die Schmerzen und die Verzagtheit, die von ihr Besitz ergriffen hatten, als der Druck nachließ. Als sie ihr Pferd im Hof zügelte, vermochte sie sich kaum noch zu bewegen. Die Pferde stolperten vor Müdigkeit. Unter Aufbietung ihrer letzten Willenskraft schwang Matilda das Bein über den Rücken des Pferdes und stieg ab. Reynald und Brian fingen sie auf, sonst wäre sie in sich zusammengesackt.
Die Burg Ludgershall gehörte ihrem Marschall, und sein Burgvogt war ebenso tüchtig wie sein Herr und versorgte sie rasch mit einer Mahlzeit und allem Notwendigen.
»Du solltest dich hinlegen, Schwester«, sagte Reynald besorgt.
»Nein«, wehrte sie vehement ab. Sie durfte keine Schwäche zeigen. Um als Königin über Männer zu herrschen, musste sie beweisen, dass sie genauso zäh und stark war wie sie.
»Legt wenigstens die Füße hoch«, drängte Brian, auf die gepolsterte Bank und den Schemel deutend, den die Diener ge bracht hatten. »Es ist keine Schande, sich auszuruhen.« Als er sich bückte, um das Kissen aufzuklopfen, stieg ihr der beißende Geruch seines Schweißes in die Nase, und sie bemerkte die dunklen Ringe unter seinen Augen. Im schwachen Kerzenschein wirkte sein Gesicht leichenblass und ausgezehrt.
»Ich muss stark bleiben.« Sie brachte die Worte nur mühsam hervor.
»Morgen ja«, erwiderte Brian. »Aber im Moment könnt Ihr nichts tun, außer Euch auszuruhen. Man muss wissen, wann man gewisse Dinge lieber anderen überlässt.« Er nahm ihre Hand, drückte sie leicht und schob sie unter eine Decke. »Ich komme sofort wieder.«
Sie sah ihm nach, als er hinausging. Er hatte Recht, jeder hatte seine ihm zugewiesenen Pflichten, aber sie sollte hier die Befehle erteilen, und da sie das nicht tat, kam sie sich wie eine Versagerin vor. Irgendetwas bedrückte Brian. Sie spürte es, obwohl er es zu verbergen versuchte. Es war so unübersehbar wie die Tintenflecken an seinen Fingern, aber schwieriger zu interpretieren. Und sie war müde, so furchtbar müde.
Brian stieg mit Reynald und dem Burgvogt zum Wehrgang empor, starrte in die Abenddämmerung hinaus und suchte die Umgebung nach Anzeichen von Verfolgern ab: Lagerfeuer, die auf einen näher rückenden Feind schließen ließen, oder Fackeln und Laternen von nächtlichen Reisenden. Aber er konnte nichts entdecken, und außer Schafgeblöke und dem Rascheln des Windes im Gras der Hügel war kein Laut zu hören.
»Wir hätten nie nach Winchester reiten sollen«, stellte Reynald bitter fest. »Der Bischof hat uns eine Falle gestellt. Er wollte, dass wir ihn angreifen und vernichtet werden. Er hat die Burg belagert, um uns herzulocken, und dann selbst Feuer gelegt, um zu entkommen und für die Königin ein Zeichen zu setzen.«
»Hinterher ist man immer klüger«, raunzte Brian.
»Aber warum sollte er jetzt die Seiten wechseln?«, fuhr Reynald verwirrt fort. »Dieser Streit mit meiner Schwester hätte doch sicherlich beigelegt werden können.«
»Weil Waleran de Meulan zu uns übergelaufen ist. So ist mit einem Schlag ein einflussreicher Mann und Feind vom Hof verschwunden. Da Stephen im Kerker sitzt, kann er einspringen und in Maheuts Namen über England herrschen. Maheut wird seine Verfehlungen vergessen und aufgrund seiner Fähigkeiten an ihm festhalten. Er versteht es, Eigennutz wie Sorge um das Gemeinwohl erscheinen zu lassen.« Brian spähte angestrengt ins Dunkel und sagte: »Ihr solltet an jedem Fenster Wachposten aufstellen – zwei Mann pro Fenster, einen Beobachter und einen zur Verstärkung.«
»Ich werde es veranlassen, Sire.« Der Ritter verneigte sich und fügte nach kurzem Zögern hinzu: »Habt Ihr Nachricht von Lord FitzGilbert?«
Brian schüttelte den Kopf. »Nein, aber es muss ihm gelungen sein, D’Ypres bei Wherwell aufzuhalten, weil wir auf der Straße nicht angegriffen wurden.«
»Aber von meinem Herrn ist noch nichts zu sehen.«
»Er käme nicht hierher, sondern würde den Feind von der Kaiserin fortlocken, um ihn in die Irre zu führen.« Brian verkniff sich den Zusatz: »Wenn er noch lebt«, aber die Worte blieben unausgesprochen in der Luft hängen.
»Und was ist mit Robert und Miles?«, fragte
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