Die Hueterin der Krone
Ratsversammlung bewirken. Wenn ich den Hof meide, isoliere ich uns. Als guter Lord, Ehemann und Vater muss ich in die Welt hinausgehen und mich nicht von ihr zurückziehen.« Er beugte sich vor, nahm ihr Gesicht zwischen die Hände und küsste sie. Dann schnallte er seinen Gürtel um und verließ rasch die Kammer.
Adeliza zog einen Umhang über ihr Hemd, ging zum Fenster und blickte hinaus.
Will sprach unten im Hof mit einem Stallburschen. Obwohl sie ihn sehr liebte, frustrierte sie seine Sturheit. Nach Lincoln hatte sie eine Zeitlang gedacht, er ändere vielleicht seine Meinung und überwinde sich, Matilda den Treueeid zu leisten. Aber dann hatten die Londoner sie aus Westminster vertrieben, und es war zu dem Debakel von Winchester und der Gefangennahme von Robert of Gloucester gekommen. Matilda hatte entkommen können, aber alles war auseinandergebrochen. Von ihrem Hof in Devizes aus regierte sie noch immer ihre Herrschaftsgebiete, und sie hielt auch Oxford noch, aber die eigentliche Macht war ihr durch die Finger geglitten.
Über Winchester hatte sie Furchtbares gehört. Teile der Stadt waren dem Erdboden gleichgemacht, die Abteien Hyde, Holy Cross und Wherwell niedergebrannt worden. Zahlreiche Bürger waren tot oder heimatlos und bettelarm. Außerhalb ihrer Ländereien herrschten Chaos, Tod und Zerstörung. Dass es ihr und Will bislang gelungen war, in ihren Gebieten von Sussex und Norfolk für stabile Zustände zu sorgen, verdankten sie der Gnade Gottes und ihren eigenen Bemühungen, auch wenn es oft zu Spannungen zwischen ihnen kam. Aber dies konnte sich jederzeit ändern; es gab nirgendwo vollkommene Sicherheit. Robert of Gloucester wurde gegen Stephen ausgetauscht, und die Kämpfe konnten nur eskalieren.
Drei Wochen später stand Adeliza im Kirchenschiff der Kathedrale von Westminster und fühlte sich entsetzlich elend, während sie zusah, wie König Stephen aus den Händen Theobalds of Canterbury zur erneuten Bestätigung seiner Königswürde seine Krone entgegennahm. Sie wäre lieber in Arundel geblieben, aber Will hatte sie an seiner Seite haben wollen, und als frühere Königin Englands war es ihre Pflicht, an der Zeremonie teilzunehmen. Stephens Frau hatte ihre eigene Krone getragen, ein zierliches, mit Perlen besetztes Stück aus goldenen Lilienblüten, das nicht zu ihrer matronenhaften Erscheinung passte. Sie hielt den Kopf hoch erhoben, und ihre Miene zeugte von befriedigtem Stolz. Dazu hat sie auch allen Grund, dachte Adeliza mit leisem Groll. Maheut war es gelungen, mit Zähnen und Klauen an ihrer Krone festzuhalten, und sie hatte verhindert, dass Matilda rechtmäßig den Thron bestieg.
Alles hier erinnerte sie an ihr Leben als Königin. Einst wäre sie es gewesen, die bei dieser Zeremonie eine entscheidende Rolle gespielt hätte. Sie hätte gelächelt, Konversation mit den Gästen betrieben und Bittgesuche entgegengenommen. Diese Aufgabe fiel jetzt Maheut zu, und Adeliza hatte sich im Hintergrund zu halten. Jegliche Aufmerksamkeit, die man ihr schenkte, war lediglich ein Tribut an vergangene Zeiten.
Stephen sah nicht gut aus, fand sie. Sein Gesicht war eingefallen, und sein flackernder Blick wanderte wachsam umher. Durch die Gefangenschaft hatte er seine freundliche Umgänglichkeit verloren, die früher seine Persönlichkeit ausgemacht hatte. In den Monaten nach Lincoln hatten sich so viele seiner Anhänger von ihm abgewandt und waren nur auf ihren eigenen Vorteil bedacht gewesen, dass er sich fragen musste, wem er noch trauen konnte. Die einstige Kameradschaft war erschüttert. Und die Männer mussten sich ihrerseits fragen, ob ein einmal besiegter König nicht erneut besiegt werden konnte. Stephen war nicht standfest; er würde schwanken wie ein Grashalm im Wind. Matilda hatte die Leute oft durch ihre Schroffheit gegen sich aufgebracht, war aber immer entschlossen vorgegangen. Will konnte noch so oft behaupten, es entspreche der natürlichen Ordnung, dass ein Mann auf dem Thron sitze – es kam immer darauf an, wer die Macht innehatte. Der Glanz von Stephens Krone war jedenfalls für immer verblasst, daran änderten auch die prunkvollen Zeremonien nichts.
Nach der Feier machte Adeliza in der Rufushalle des Palastes einen tiefen Knicks, als Stephen und Maheut stehen blieben, um mit ihr zu sprechen. Sie hielt den Blick gesenkt und fest auf das Gewand gerichtet, das sie zuletzt als Königin Englands getragen hatte.
Maheut half ihr auf und gab ihr den Friedenskuss.
»Es freut mich, Euch
Weitere Kostenlose Bücher