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Die Hüterin der Quelle

Die Hüterin der Quelle

Titel: Die Hüterin der Quelle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brigitte Riebe
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»Denn die Kleine ist tot. Und jetzt heißt es, die Druten hätten sie …«
    Schritte, dann stand Pankraz Haller in der Tür.
    »Marie!« Sein Gesicht war aschfahl. »Hast du schon gehört?«
    »Ja«, sagte sie, »gerade eben. Wie schrecklich, Vater! Wie kam sie denn in den Keller?«
    »Ich weiß es nicht«, sagte er. »Es ist fürchterlich. Entsetzlich!« Sein Blick wurde flackernd. »Wo ist Selina? Zu Hause? Hast du sie gesehen?«
    »Nein, den ganzen Nachmittag nicht mehr. Sie ist nach dem Mittagessen weggegangen, ohne mir zu sagen, wohin. Weshalb fragst du?«
    »Weil die Hexenkommission sie vorladen will. Ich komme gerade von dort. Georg Schneider hat sie schwer belastet.«

    Kratzen, als ob eine Katze Einlass begehrte.
    Schlaftrunken öffnete Ava die Türe. Er lief so gebückt, kroch mehr, als dass er ging, dass sie ein paar Augenblicke brauchte, um zu erkennen, wer es war.
    »Toni!« In ihren Armen fing sie ihn auf.
    Er blieb ganz still, schmiegte sich an ihren Körper. Sie berührte vorsichtig seinen Kopf, seinen Hals, die schmale Brust.
    Schmerzerfüllt zuckte er zusammen.
    »Was haben sie mit dir gemacht?«, sagte Ava. »Du bist doch noch ein Kind!«
    Er versuchte zu sprechen; es gelang erst beim zweiten Versuch.
    »Ich muss wiederkommen. Ich bin nur auf Versprechen frei«, brachte er mühsam hervor. »Weil der schwarze Prediger mich schützt.«
    »Aber erst einmal musst du essen und schlafen. Soll ich dich verbinden? Diese Schinder! Wie konnten sie dir das nur antun?«
    Eine kraftlose kleine Geste. Sie brachte ihr Ohr näher zu seinem Mund.
    »Gott sieht alles«, hörte sie ihn sagen. »Alles! Wusstest du das, Ava?«

    Sie war so müde, dass sie kaum noch die Beine heben konnte, und der Heimweg erschien ihr endlos. Selina unter Verdacht – was sollten sie nur tun, um das Mädchen zu schützen?
    Nicht einmal Pankraz hatte sie trösten können, obwohl er sich alle Mühe gegeben hatte, aber dazu war er selber zu tief in die Angelegenheit verstrickt. Tausend Möglichkeiten hatten sie erwogen und wieder verworfen und überm Grübeln die Zeit vergessen.
    Auf der Oberen Brücke machte sie Halt, blickte hinunter ins Mühlenviertel. Der auffrischende Wind kühlte ihr erhitztes Gesicht. Unter sich hörte sie den Fluss rauschen, und das wehe Gefühl in ihrer Brust wurde stärker.
    Wie sollte sie an der Seite von Veit kämpfen, wenn sie ihm nicht mehr vertrauen konnte?
    Hufgeklapper schreckte sie auf.
    Marie hob den Kopf, sah zwei Männer in dunklen Umhängen neben einer schwer beladenen Stute. Einer davon kam ihr bekannt vor. Die Haare, der Gang, das Profil!
    Eine jähe Freude stieg in ihr auf.
    »Simon«, sagte sie halblaut und begann loszulaufen. »Simon!«, rief sie. »Wie gut, dass du wieder da bist!«
    Als sie die beiden fast erreicht hatte, blieb sie plötzlich stehen.
    Den zweiten Mann kannte sie auch. Aber war das möglich?
    Etwas zog ihr die Kehle zu. Seinen Namen konnte Marie nur noch flüstern.
    »Adam? Adam!«

    Am anderen Morgen fegte Hanna Hümlin die Stube aus, wie sie es jeden Tag tat. Sie war später dran als gewöhnlich, weil sie schlecht geschlafen hatte und mit trockenem Mund immer wieder aufgewacht war. Trotzdem öffnete sie das Fenster, ließ kalte frische Luft herein. Jede Bewegung schien über Gebühr Kraft zu kosten, ihre Glieder waren steif und schwer. Mühsam verschob sie den Tisch, um überall mit dem Besen hinzukommen, und rückte danach den Stuhl mit den Armlehnen beiseite, auf dem Marie gestern gesessen hatte.
    Da lag etwas auf dem Boden – ein Stück gefaltetes Papier.
    Sie hob es auf, sah es an. Es musste alt sein, denn der Untergrund war stockfleckig und bräunlich, die Tinte an einigen Stellen verschmiert oder zerlaufen.
    Ob jemand darauf geweint hatte?
    Hanna faltete es wieder zusammen und steckte es nach kurzem Überlegen in ihr Mieder. Sie konnte im Gegensatz zu Pankraz’ hochmütiger Tochter Marie Sternen nicht lesen, die ihr gestern Abend nachdrücklich zu verstehen gegeben hatte, wer die Herrin im Haus war.
    Aber sie wusste jemanden, der diese Fertigkeit beherrschte. Eine Frau, der sie vertrauen konnte. Zu ihr würde sie diesen Fund bringen. Sobald sie diese lästige Erkältung gründlich ausgeschwitzt hatte.

Drittes Buch
Roter Mond

NEUN
    N acht für Nacht fahre der Teufel hinunter in die Erde, reite in den Bierkellern unter der Stadt auf glühenden Besen umher. Sein Thron sei ein schwarzer Sessel, und seine Augen strahlten so grell, dass niemand sein Gesicht sehen

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