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Die Hüterin der Quelle

Die Hüterin der Quelle

Titel: Die Hüterin der Quelle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brigitte Riebe
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könne. Pechschwarz sei er gekleidet, der Fürst der Hölle, umgeben von seinen Druten. Auf Kinderfang seien diese Hexen aus, je jünger und unschuldiger, desto besser. Sie kröchen zu ihrem Herrscher, um ihm Opfergaben darzubringen, und würden dazu Knaben und Mädchen das Herz herausschneiden, bei lebendigem Leib. Später würfen sie ihre Opfer in den Fluss. An ihrer Stelle schickten sie dann kleine Dämonen in die Häuser der Menschen, um die Unschuldigen zu verderben bis in alle Ewigkeit …
    Gerüchte wie diese machten die Runde, wurden weitergetuschelt hinter vorgehaltener Hand und dabei mit stets neuen, immer noch grässlicheren Einzelheiten ausgeschmückt. Inzwischen gab es zahllose Versionen über Lenchens Ende. Es half nichts, dass man die kleine Leiche in aller Stille an einem Ort beigesetzt hatte, der nur wenigen Ausgewählten bekannt war – denn Lenchen ging um, darüber waren sich alle einig. An den Ufern der Regnitz, am Stephansberg, im Mühlenviertel, vor allem aber um Mitternacht auf dem Domplatz wollte man sie gesehen haben, mit toten Augen und einer löchrigen Bettelschale in der Hand.
    Natürlich schickte Ava die Kinder jetzt nicht mehr fort. Wohin hätten sie auch gehen sollen? Die alte Mühle war zugig und kalt; ohne eine Feuerstelle konnte dort niemand den Winter überstehen. Zudem stieg der Fluss schneller als in früheren Wintern, was sie nicht ohne Sorge beobachtete. Auch Reka schien zu bemerken, dass Ungewöhnliches vor sich ging. Seine nächtlichen Beutetouren fielen kürzer aus, und es gab Abende, wo sie schon nach kurzem wieder sein vertrautes Kratzen an der Türe hörte. An die neuen Bewohner hatte er sich rasch gewöhnt. Nach wie vor ließ der zahme Otter sich besonders gern von Kuni kraulen, hatte aber auch nichts dagegen, wenn einer der Jungen ihn streichelte.
    Auf engstem Raum lebten sie nun zusammen, obwohl Ava es vorgezogen hätte, die stillen Wintermonate allein zu verbringen. Stattdessen hatte sie Lenz und Kuni ihr Bett in ein kleineres Zimmer hieven lassen und die frühere Schlafkammer an die Kinder abgetreten. Zwei alte Holzgestelle, ein paar Strohsäcke und Decken, mehr hatte sie nicht anzubieten, aber die Kinder waren damit zufrieden. Manchmal fand Ava morgens ein Knäuel aus Armen und Beinen, als sei über Nacht aus den vieren ein einziges Wesen geworden.
    Die Kinder stritten sich nicht mehr; sogar die Kabbeleien zwischen Kuni und Lenz hatten aufgehört, und manchmal sehnte sich Ava nach den alten, übermütigen Zeiten zurück. Jetzt gingen sie so vorsichtig miteinander um, als könne schon ein Wort zu viel das fragile Gleichgewicht ins Schwanken bringen. Weinen sah sie keinen von ihnen, aber Kuni wirkte in sich gekehrt, Lenz schaute fast immer abwesend drein, und Nacht für Nacht war das Laken unter Kaspar nass. Toni hatte angefangen, schlafzuwandeln, stand zitternd im Raum, rang nach Luft. Ava wusste sich nicht anders zu helfen, als ihm einen Eimer vor das Bett zu stellen, damit sie wenigstens wach wurde, sobald er hinauspolterte.
    Mehrfach hatte ihn die Malefizkommission in der Alten Hofstatt vernommen, doch seit jenem Abend, wo er in ihren Armen zusammengebrochen war, verriet Toni nichts mehr darüber. Sie spürte trotzdem, wie groß seine Last war, wie schwer sie seine schmalen Schultern drückte. Ava hatte sich ihren eigenen Reim darauf gemacht. Was Toni schützte, war seine Stimme, an der der Weihbischof offenbar ganz besonderen Gefallen gefunden hatte. Solange Toni also sang, war er in Sicherheit. Deshalb kochte sie ihm starken Salbeitee, als er sich erkältet hatte, legte ihm einen Umschlag mit warmen Zwiebeln um den Hals und ließ ihn erst wieder aus dem Bett, als eine Spur von Rot auf seine Wangen zurückgekehrt war.
    »Sie waren hinter dir her«, sagte er eines Morgens, als die anderen zum Holzsammeln gegangen waren. Er saß auf der Bank und kaute an einem harten Brotkanten, während Ava Schwarzwurzeln geschält hatte, um den Speiseplan zu bereichern. Nun schrubbte sie sich die Hände mit Asche, um die hartnäckigen braunen Flecken wegzubekommen. »Die Herren Hexenkommissäre.«
    »Ich weiß«, sagte Ava. »Man hat mich schon gewarnt.«
    »Aber sie werden dir nichts tun, Ava! Dafür hab ich gesorgt. Ich hab ihnen nämlich gesagt, dass du keinem schadest. Weil du keine Drute bist. Und dass du nie im Leben irgendwo Hexentöpfe vergraben würdest.«
    »Wer hat das denn behauptet?«, sagte Ava.
    Für einen Moment sah sie wieder Flammen auflodern, und die

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