Die Hüterin der Quelle
überhaupt hatte hereinlassen können, war ausgeschlossen, denn sie war spurlos verschwunden. Nicht einmal Hofmeister war in der Nähe, um ihm zu Hilfe zu eilen.
» … sollten wir vielleicht mit ein paar neuen Soutanen beginnen, was meint Ihr? Drei oder vier Stück?« Der kleine Mann bleckte seine schadhaften Zähne. »Für den Anfang natürlich nur. Später wird es mir eine große Ehre sein, mich an Eure wertvollen Messgewänder zu setzen …«
Gundels Brief war weg!
Mit fliegenden Händen hatte Förner alle Gebetbücher durchsucht, bis dieser Eindringling ihn dabei gestört hatte. Hatte er ihn herausgenommen und anderswo versteckt? Wann hatte er ihn überhaupt zum letzten Mal in der Hand gehabt? In seinem Kopf wurde es ganz leer. Sosehr er auch sein Hirn marterte, es wollte ihm keine Antwort einfallen. Anstatt sich in Ruhe darum zu kümmern, musste er sich jetzt mit dieser Kreatur befassen. Natürlich wusste er genau, wen er vor sich hatte. Weder diesen Namen noch dieses Gesicht würde er jemals vergessen – Schneidermeister Lorenz Eichler.
Der Mann, der sein Geheimnis kannte.
»Meine Zeit ist begrenzt«, unterbrach er ihn grob. »Mein Sekretär wird sich mit Euch in Verbindung setzen …«
»Dieser aufgeblasene Schnösel?« Eichler hob den Kopf und sah ihn furchtlos an. »Verschont mich vor dem. Nein, Ihr werdet Euch anders besinnen, Monsignore, ich bin mir ganz sicher!«
Etwas Kaltes kroch Förner den Rücken hinunter. Dass der Bucklige so aufzutrumpfen wagte, verhieß nichts Gutes. Es war ein Fehler gewesen, ihn all die Jahre unbehelligt zu lassen, ein fataler Irrtum, anzunehmen, er würde schweigen – und vergessen.
»Alles verändert sich und leider nicht immer zum Besten«, fuhr Eichler fort. »Die Zeiten sind härter geworden, nicht nur für mich, auch für Euch, Monsignore. Habe ich Euch nicht bewiesen, dass ich schweigen kann, all die Jahre?«
Der Weihbischof bewegte sich nicht.
»Und das werde ich auch weiterhin tun, vorausgesetzt natürlich, Ihr kommt mir ein wenig entgegen.« Er breitete die dünnen Arme aus. »Fordere ich etwa Silber? Oder Gold? Kostbare Juwelen?« Er wiegte seinen Kopf nachdenklich hin und her. »Nein, Monsignore, danach steht mir nicht der Sinn. Ich will nur meinen guten Ruf zurück. Meine Reputation. Und die bekomme ich, wenn ich wieder für Euch arbeiten kann. Das ist mein einziges Bestreben!«
Der Weihbischof starrte ihn angeekelt an. Er musste diesen Wurm loswerden – endgültig.
»Ihr zwingt mich, deutlicher zu werden«, sagte Eichler, als nichts von Förner kam, kein Laut, nicht einmal eine Geste. »Es gibt da ein kleines blondes Mädchen namens Lenchen in der Stadt, das Euer Mal am Hals trägt, das Mal, Monsignore, das Ihr so unbedingt verbergen wollt …«
»Schweigt!«
Ein Lächeln zuckte über Eichlers Gesicht. Wenn er bekommen würde, wonach ihn verlangte, würde er zum Heiligen Loch wallfahrten und dort alle Rosenkränze beten, das hatte er der Marienstatue im Dom gelobt.
» … und jetzt ist das kleine blonde Mädchen tot. Ganz Bamberg spricht von nichts anderem. Aber was glaubt Ihr, werden die Leute erst reden, wenn bekannt wird, dass sie Euer …«
»Was willst du?«, zischte Förner.
»Das hab ich bereits gesagt, in aller Bescheidenheit, aber ich wiederhole es gerne, sooft Ihr es wollt: Ernennt mich zu Eurem Leibschneider. Auf Lebenszeit. Mehr verlange ich nicht.«
Der Weihbischof bewegte langsam den Kopf.
»Ihr seid einverstanden?«, sagte Eichler atemlos. »Tatsächlich einverstanden? Damit macht Ihr mich zum glücklichsten Mann Bambergs!«
Keuchend erreichte Apollonia Krieger das Haus des Braumeisters. Noch immer konnte sie nicht fassen, dass sie Kanzler Haag nicht angetroffen hatte, dieses eine Mal, wo sie ihn so dringend gebraucht hätte. Ihr Unbehagen ihm gegenüber war berechtigt gewesen. Es nützte nichts, sich auf die hohen Herren zu verlassen, wenn man in Not war – und das war sie!
Er sei nach Nürnberg gereist, zu seiner Mutter, hatte ihr die Magd gesagt, eine hochmütige Person in einem blauen Kleid, das aussah, als hätte sie es ihrer Herrschaft gestohlen. Ob sie etwas ausrichten solle?
Apollonia hatte sie wortlos stehen lassen, war weitergelaufen, hierher, hinunter in den Sand. Jetzt blieb nur noch Pankraz Haller, denn das gefaltete Schriftstück, das im Gebetbuch in ihrem Mieder brannte, musste sie auf alle Fälle loswerden.
Ob sie es nicht einfach in die Regnitz werfen sollte? Damit wäre freilich auch die
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