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Die Hüterin der Quelle

Die Hüterin der Quelle

Titel: Die Hüterin der Quelle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brigitte Riebe
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einer robusten Schale, die allen Unbilden der Welt trotzen konnte.
    Marie widerstand dem Wunsch, sich zu ihm zu legen, an seinen kräftigen Rücken geschmiegt, die Arme fest um ihn geschlungen. Aber es war mitten am Tag, und so viel Nähe ertrug er nur, wenn sie sich liebten. Selbst dann war es stets Veit, der sich als Erster von ihr löste.
    Sie blieb, wo sie war. Sie wollte kein Risiko eingehen, nicht in dieser heiklen Zeit, wo schon ein falscher Blick genügte, um ihn in Rage zu bringen. Marie ahnte, was dahinterstand. Es war nicht nur der Fürstbischof, der ungeduldig auf erste Ergebnisse drängte. Es ging auch um Simon. Sie wusste nicht, was zwischen den beiden vorgefallen war. Aber Simons eckig hochgezogene Schultern und seine verbissene Schweigsamkeit verrieten ihr, dass es sich um etwas Ernstes handeln musste.
    Ewig hätte sie noch dastehen können, vertieft in sein ruhiges Atmen und die tieferen Töne, die er zwischendrin von sich gab, als jemand sie am Rock zupfte.
    »Wie geht es ihm?«, sagte Selina.
    »Besser«, sagte Marie. Sie legte den Finger auf die Lippen. »Lassen wir ihn weiterschlafen. Das braucht er jetzt.«
    »So hab ich ihn noch nie gesehen, so schwach und müde. Ich hatte Angst, dass er stirbt.« Aufregung schraubte ihre Stimme hoch.
    »Dein Vater wird noch lange leben, Selina. Aber jetzt muss er sich erholen.«
    »Eben.« Marie, die gerade die Tür zumachte, drehte sich erstaunt nach dem Mädchen um. »Sie sollen ihn in Ruhe lassen. Damit er schnell wieder gesund wird. Draußen ist jemand, der nicht hierher gehört.«
    »Wen meinst du?«, sagte Marie, da zog Selina sie schon weiter.
    Beide wären im Flur fast mit Agnes Pacher zusammengeprallt. Ihre vollen Wangen waren gerötet, die Augen funkelten angriffslustig. Unter der gestärkten Haube quollen blonde Haarsträhnen hervor. Sie trug ein raschelndes blaues Kleid, das eher zu einer Feier im Hochzeitshaus als zu einem Krankenbesuch gepasst hätte.
    »Wie geht es ihm? Muss er noch liegen?«, stieß sie hervor. »Braucht er Arznei? So rede doch endlich!«
    »Sterben wird er nicht«, sagte Marie. »Du kannst ganz beruhigt sein. Aber es ist trotzdem rührend, wie sehr mein Mann dir am Herzen liegt. So sehr, dass du sogar deinen Säugling allein zu Hause lässt.« Die kleine Häme tat ihr gut. Die dralle Pacherin hatte ihr noch nie besonders gelegen. Sie trat zur Seite. »Willst du nicht wenigstens einen Moment in die Stube kommen?«
    »Harlan schickt mich«, sagte Agnes schnell und ließ sich auf einen Stuhl fallen. »Und der Kleine ist versorgt – ein so gesundes Kind. Wenn er nur nicht diesen grässlichen Schorf hätte! Aber der geht bestimmt noch weg. Harlan macht sich Sorgen. Das ist doch alles zu viel für Simon.« Sie reckte den Hals und schürzte die Lippen zu einem koketten Lächeln. »Kann ich nicht wenigstens für einen Moment zu Veit?«
    »Er schläft«, sagte Marie. »Du würdest jetzt keine rechte Freude an ihm haben.«
    »Simon ist ein guter Schnitzer. Schon fast so gut wie Vater.« Die Worte rollten auf Selinas Zunge dick und störend ineinander. »Er kann alles. Und mit Holz kennt er sich aus.«
    »Was für ein Unglück – nun verlernt das arme taube Ding auch noch das Sprechen!« Agnes schlug die rundlichen Hände zusammen. »Was meint sie denn? Ich hab kein einziges Wort verstanden! Veit tut mir wirklich Leid. Womit er das wohl verdient hat?« Sie senkte ihre Stimme. »Ihr habt doch keine Feinde, oder wären dir irgendwelche bekannt?«
    Marie hob fragend die Brauen.
    »Nun, es gibt ja Menschen, die anderen übel gesonnen sind. Das weiß doch jeder. Sie sagen böse Dinge – und später wird man krank. Man verliert plötzlich einen Zahn. Oder das Kind bekommt hässlichen Schorf. Alles nur wegen ihrer Verwünschung. Solche Feinde meine ich.«
    »Nein«, sagte Marie ruhig. »Solche Feinde haben wir bestimmt nicht.«
    Selina hatte ihre Tafel herausgezogen und schrieb.
    Sie soll weggehen , las Marie, als das Mädchen sie ihr halb unter dem Tisch entgegenstreckte. Sofort. Und nie mehr wieder zu uns kommen .
    Beinahe hätte sie gelächelt. Selten genug, dass Selina und sie einer Meinung waren.
    »Manchmal soll ja Weihwasser helfen«, fuhr Agnes fort, die Augen auf das Mädchen gerichtet. »Das hab ich schon öfter gehört. Besonders Wasser, das in der heiligen Osternacht geweiht wurde. Man träufelt es ins kranke Ohr und dann …«
    »Ich fürchte, damit sind wir ein paar Jahre zu spät«, sagte Marie. »Außerdem kann man Selina

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