Die Hüterin der Quelle
Unterbrechung eintrat, für die er bis heute keine Erklärung hatte. Mit diplomatischem Geschick und großzügigen Spenden jedoch war es ihm gelungen, sie wieder in Gang zu setzen. Jetzt konnte der positive Bescheid jeden Tag eintreffen. Und das war nur der Beginn, denn seine Pläne reichten weit über Bamberg hinaus.
Einen Teil der Bierfässer würde er allerdings am bisherigen Platz lassen, ab und an auf Qualität prüfen und sehr genau mit dem Neugebrauten vergleichen. Dann sollte die Zeit entscheiden, ob seine Wahl richtig gewesen war.
Zufriedener als zuvor verließ er den Stephansberg. Jetzt machte ihm auch die drückende Hitze nichts mehr aus. Er war so guter Stimmung, dass er sich sogar entschloss, in der Langen Gasse vorbeizuschauen.
Veit war krank. Holzhändler Pacher, von dem er seine Buchenscheite bezog, hatte ihn davon unterrichtet. So lange schon hatte er einmal allein mit Marie reden wollen.
Vielleicht war heute genau der richtige Tag, um es zu tun.
Sie empfing ihn freundlich, aber nicht so herzlich, wie er es sich gewünscht hätte. Der Krippenschnitzer stand zwischen ihnen, ob krank oder gesund. Daran hatte sich seit seiner Werbung um Marie nichts geändert, und manchmal verließ ihn die Zuversicht, es könne noch jemals anders werden.
Trotzdem ließ Pankraz sich nicht entmutigen. Er nahm ihr Angebot an, ihm einen Imbiss zu richten, lobte das selbstgebackene Brot, das Geräucherte, den Wein.
Marie sah entspannter aus als bei ihrem letzten Zusammentreffen, das für seinen Geschmack schon viel zu lang zurücklag. Es kostete ihn Überwindung, Veit anzusprechen, aber schließlich tat er es doch.
»Er ist heute aufgestanden, stell dir vor, endlich! Zum Bader ist er gegangen. Und morgen will er wieder in die Werkstatt.«
»Du hast dir Sorgen um ihn gemacht?«
»Natürlich. Er kann so unvernünftig sein, so stur.« Sie lachte. »Und sagen darf man natürlich kein Wort. Sonst wird er gleich wütend. Aber das ist ja nichts Neues für dich. Du kannst ebenso deinen Kopf haben wie er.«
Zartes Rot lag auf ihren Wangen, die Augen glänzten. Das grüne Kleid unterstrich den Messington ihres Haares. Sie war keine Matrone geworden, wie die meisten ihrer Freundinnen, sondern sah frisch und noch immerjugendlich aus. Was für ein Glück Sternen hatte, eine solche Frau gefunden zu haben! Am liebsten hätte er sie in die Arme genommen und fest an sich gedrückt, aber er unterließ es.
Stattdessen breitete er seine Pläne auf dem Tisch aus und begann von seinem Vorhaben zu erzählen. Er war noch nicht sehr weit damit gekommen, als plötzlich die Türe aufging und Selina sich hereinschob, vorsichtig und geschmeidig wie eine Katze. Sie blieb unschlüssig stehen, als sie die beiden Köpfe nebeneinander über das Papier gebeugt sah, dann setzte sie sich zu ihnen an den Tisch.
Pankraz hielt inne. Was er zu sagen hatte, ging seine Tochter an und niemanden sonst, aber er wusste nicht, wie er das dem tauben Mädchen beibringen sollte.
Selina nickte ihm zu, als wolle sie ihn aufmuntern, fortzufahren, und schließlich tat er es. Sie würde ohnehin kaum verstehen, was er vorhatte. Vielleicht wollte sie einfach nur bei ihnen sein.
Irgendwann war er fertig. Marie hatte nicht viel gesagt, nur ab und an zerstreut genickt, als sei sie mit ihren Gedanken anderswo. Das Mädchen dagegen schien ganz bei der Sache.
»Das gefällt mir«, sagte sie und schaute dabei konzentriert auf seine Lippen. »All diese Gänge, die in den Bauch des Berges kriechen. Wie ein Wurm, der keinen Anfang hat und kein Ende. Nimmst du mich einmal dorthin mit, nonno ?«
Sie nannte ihn Großvater – zum ersten Mal! Pankraz war so überrascht, dass er nach Worten rang.
»Weißt du, Selina, das ist eigentlich kein geeigneter Ort für kleine Mädchen«, sagte er. »Die Stollen sind eng und schmutzig. Und wenn jemand Angst vor der Dunkelheit hat …«
»Das macht mir nichts aus. Und klein bin ich schon lange nicht mehr. Hast du nicht bemerkt, dass ich fast so groß wie Marie bin?« Er spürte, wie sehr sie sich anstrengte, möglichst deutlich zu sprechen. »Und wenn man eine Fackel hat, ist es doch gar nicht mehr so dunkel, oder? Ich möchte so gerne zu deinem Bier!«
Sie hatte ihm ihr linkes Ohr zugewandt, das, mit dem sie noch ein Restchen hören konnte, und alles verstanden, jedes einzelne Wort. Die Überraschung musste ihm ins Gesicht geschrieben stehen, denn Selina fuhr fort: »Ich kann dich viel besser verstehen, jetzt, wo du keinen Bart mehr
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