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Die Hüterin der Quelle

Die Hüterin der Quelle

Titel: Die Hüterin der Quelle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brigitte Riebe
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Loch? Hier, in Bamberg?«
    Er steckte sich einen Apfelschnitz in den Mund.
    »Nein, irgendwo. Nicht weit von hier. Egal – es ist ohnehin besser, wenn du es nicht zu genau erfährst. Nur für den Fall, man würde dich einmal ausquetschen. Dann kannst du guten Gewissens behaupten, du wüsstest von nichts.«
    Ava schob den Teller beiseite. Ihre Nase prickelte. Ein weiterer Niesanfall. Und das flaue Gefühl im Magen, das einfach nicht verschwinden wollte!
    »Was willst du jetzt tun?«
    »Dasselbe wie bisher, vermute ich. Fallen stellen, Netze legen. Der hochnäsigen Zunft ein Schnippchen schlagen. Obwohl – ich hab da neulich ein paar Flößer getroffen, drunten im Lamitztal. Eine schöne, einsame Gegend. Ausgesprochen waldreich. Sie haben erzählt, man könne in den Wintermonaten einen ordentlichen Batzen verdienen, vorausgesetzt, man scheut sich nicht vor Schnüren eisigen Wassers im Gesicht und Schneeflocken, so dicht wie Gänsedaunen.«
    Mathis musterte sie eindringlich.
    »Ich sollte mich in aller Ruhe umsehen. Zumindest, bis ich wieder richtig zupacken kann. Deine Fischerfreunde haben sich während meiner Abwesenheit ein paar neue Widrigkeiten einfallen lassen. Und das, noch bevor die Jagdsaison richtig begonnen hat!«
    Er streckte ihr seine linke Hand entgegen. Ava sah die tiefen, kaum verschorften Wunden, die scharfe Eisenzähne im Ballen hinterlassen hatten. Unwillkürlich zog sie Luft zwischen die Zähne.
    »Ein Ottereisen!«, sagte sie.
    Da war es wieder in ihren Ohren, das Tuten der Jagdhörner, das Hecheln der Hunde, die wilde Flucht der Otter, zu Wasser, zu Land! Herbst für Herbst flackerte der Irrsinn aufs Neue auf. Und jeden Herbst spürte Ava, wie ihre Wut wuchs. Sie gierten nach dem Fell der Otter, ihrem Fett – nach ihrem Leben. Reka hatte sie im letzten Augenblick davor bewahren können. Doch was war mit all den anderen Artgenossen, die getötet wurden oder schwer verletzt irgendwo qualvoll verendeten?
    Die Übelkeit war plötzlich nicht mehr nur im Bauch, sondern auch im Schlund. Ava atmete vorsichtig dagegen an, und langsam zog sie sich wieder zurück, doch ihr linkes Bein fühlte sich unterhalb der alten Narbe auf einmal wie taub an.
    »Das Ufergestrüpp strotzt davon. Sie sind so geschickt gelegt, dass selbst ein alter Hase wie ich in die Falle gegangen ist! Da sind Spezialisten am Werk! Du solltest ein wachsames Auge auf deinen pelzigen Freund haben. Wo steckt er eigentlich?«
    »Nebenan«, sagte Ava. »In meiner Kammer. Tagsüber schläft Reka gern. Aber nachts geht er jagen. Und weder kann noch will ich ihn einsperren.«
    »Es wird nicht gerade leichter für uns«, sagte Mathis. »Alles Wilde, was sie nicht bändigen können, betrachten sie als gefährlich, als etwas, das man mit Stumpf und Stiel ausrotten muss. Meinst du nicht, meine Schöne, wir sollten uns in solchen Zeiten erst recht zusammentun?«
    Ihr Magen krampfte sich zusammen, schlimmer als je zuvor. Ava gelang es gerade noch, aufzuspringen und hinauszurennen. Unter dem Hollerbaum rang sie krampfhaft nach Atem.
    »Arme Kleine!« Mathis war ihr gefolgt. »Es wird dir gleich besser gehen, wenn du siehst, was ich für dich habe.«
    »Zwei Ziegen!« Er hatte die Tiere an einen Busch gebunden. Die eine war gescheckt, die andere schwarz. Beide trugen kleine Glöckchen um den Hals, die bimmelten, sobald sie sich bewegten. »Was soll ich denn mit denen anfangen?«
    »Was wohl? Du hast Milch, nette Gesellschaft, wenn es kalt wird, und Fleisch, sollte es einmal eng werden.«
    »Du hast sie doch nicht etwa ...« Sie stemmte einen Arm gegen den Stamm, als ob sie plötzlich Halt bräuchte.
    »Gekauft, meine Schöne, natürlich gekauft! Zum Glück gibt es nicht nur dich als Gratis-Abnehmerin für meine Fische, sondern auch ein paar zahlungskräftige Kunden.« Er sah sie voller Mitgefühl an. »Du siehst elend aus, Ava. Langsam beginne ich, mir Sorgen zu machen.«
    »Musst du nicht. Es ist nur eine kleine Magenverstimmung. Außerdem bin ich ein bisschen erkältet. Es war einfach dumm von mir, im Oktober noch schwimmen zu gehen. Jahr für Jahr versuche ich, den Zeitpunkt weiter hinauszuschieben, an dem ich damit aufhören muss. Immer habe ich das Gefühl, als ließe ich den Fluss im Stich.«
    »Ja, es kommt nicht von ungefähr, dass sie dich in der Stadt die ›Otterfrau‹ nennen, aber für mich bist du die Hüterin der Quelle, die alle speist. Du darfst nicht krank werden! Wir brauchen dich!« Er lachte kurz auf, dieses spöttische Lachen,

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