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Die Hüterin des Evangeliums

Die Hüterin des Evangeliums

Titel: Die Hüterin des Evangeliums Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriela Galvani
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sie noch ein ungestümes kleines Mädchen war, ihrer Mutter überlassen. Wenn sie zurückdachte, konnte sie sich auch nicht daran erinnern, dass er seine Frau jemals verprügelthätte. Hans Walser mochte von aufbrausender Natur sein, ein gewalttätiger Mann war er nicht.
    »Nun, Vater, schwarz ist immerhin besser als tot«, bemerkte sie und schlug das Buch zu.
    Ihre Antwort verwirrte ihn. Wie ein Karpfen klappte er den Mund auf und zu, offenbar sprachlos über ihre Impertinenz.
    Zufrieden über diesen Anfangserfolg, hob sie erbarmungslos an: »Hast du dir niemals Sorgen gemacht, dass ich das nächste Opfer sein könnte? Oder gar du selbst? Meitingers Lehrling Anton wurde erwürgt und in den Fluss geworfen. Weißt du schon davon? Wenn nicht, dann weißt du’s jetzt ...«, sie schnappte kurz nach Luft, um ihren Ton in der Aufregung nicht allzu schrill klingen zu lassen und ruhig fortzufahren: »Du kannst dir Gedanken darüber machen, ob du weiter schweigen und Schuld auf dich laden oder mir sagen möchtest, welches Geheimnis du mit meinem toten Gatten teilst. Nur mit der Wahrheit ist dem Mörder beizukommen.«
    »Und du glaubst, dass du das schaffst?«, schnaubte er. Dann brach er in schallendes Gelächter aus. »Deine Säfte müssen gehörig durcheinandergeraten sein, dass du der Annahme bist, den Mord an Severin aufklären zu können.« Er schien sich köstlich über seine Feststellung zu amüsieren, trat von ihr fort, klatschte sich auf die Schenkel, bis ihm Tränen über die Wangen liefen.
    Dass er nicht mehr so dicht vor ihr stand, ermöglichte es Christiane, sich zu erheben und somit auf Augenhöhe mit ihrem Vater zu sein. »Ist dir eigentlich klar, dass du das Andenken meines verstorbenen Mannes beleidigst, indem du dich ausschüttest vor Lachen?«
    »Nicht Severin machte sich zum Narren, sondern du!« Seine Stimme klang so laut wie ein Donnerhall und ebenso bedrohlich. Walser wirkte nicht mehr erheitert, sondern so cholerisch wie zuvor.
    Sie funkelte ihn wütend an. Wenn es um gewisse Charaktereigenschaften ging, hatte sie einiges von ihm geerbt. »Was ist so schlimm daran, mir zu sagen, warum du in der Posthalterei Auerbach warst an jenem Abend? Eine Antwort – und du bist mich los.«
    »Das ist Männersache«, beharrte er.
    »Was verbirgst du vor mir, Vater?«
    Plötzlich gab er nach. Wie eine Schweinsblase, die mit Wasser gefüllt und dann entleert wurde, fiel Walser in sich zusammen. Die Farbe in seinem Gesicht wechselte, und sein Atem klang rasselnd. »Ich bin ein kranker, alter Mann«, sagte er und drückte die Fäuste dramatisch auf seine Brust. »Der Veitstanz eines Weibsstücks ist nichts für mich.«
    »Möchtest du etwas Wasser?« Sie sah sich besorgt nach einer Karaffe und einem Becher um, doch auf dem Schemel neben dem Pult mit den Plänen stand nur eine Kanne, von der ein vergorener, herb-süßlicher Duft aufstieg. In dem Gefäß befand sich Bier, das inzwischen abgestanden war und sicher nicht als Erfrischung dienen konnte. Dennoch griff sie beherzt nach dem Krug und reichte diesen ihrem Vater.
    »Ich habe dem Herrn Assessor alles gesagt, was ich weiß«, erklärte Walser, nachdem er einen großen Schluck getrunken hatte. »Was den nicht weiterbringt, sollte dich nicht kümmern.«
    »Wenn es so unwichtig ist, kannst du es mir doch verraten«, insistierte sie. Langsam dämmerte ihr jedoch, dass eine Information, die Bernhard Ditmold bei der Suche nach dem Mörder nicht weiterhalf, nichts wert war. Wahrscheinlich war die Geheimniskrämerei ihres Vaters nur ein eigensinniges Kräftemessen zwischen ihm und ihr. Nichts sonst. Deshalb nickte sie und gab nach: »Dann lass es sein. Ich will’s nicht mehr wissen.«
    Walser stieß heftig die Luft aus seinen Lungen. »Endlich siehst du’s ein. Im Übrigen gibt es nichts weiter zu berichten, als dass Severin einen Zeugen für eine Unterhaltung brauchte.Mit wem und warum, weiß ich nicht. Ich kam seiner Bitte aus Freundschaft nach, aber worum es letztlich ging, nahm er mit ins Grab.«
    Christiane starrte ihren Vater fassungslos an. So einfach war es also, die Wahrheit zu offenbaren. Sie bemerkte den aufflammenden Schalk in seinen Augen. Hin und her gerissen zwischen dem Wunsch, wie ein kleines Kind mit dem Fuß aufzustampfen und nun ihrerseits in Gelächter auszubrechen, entschied sie sich für den Mittelweg: Sie schmunzelte und übte sich in Gelassenheit.
    Tatsächlich war seine Information so wenig wert wie seine Falschheit, als er sie zum Narren hielt.

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