Die Hüterin des Evangeliums
wenig alkoholisiert klang. »Und um den Mörder meines Sohnes zu suchen. Ich hatte schon seit Jahren Vorbehalte gegen diesen Imhoff. Er wurde mir zu aufsässig mit der Zeit – und zu wohlhabend. Eine Bemerkung des Zunftmeisters brachte mich darauf, dass sich Severin womöglich wegen des ach so berühmten Dichters in Schulden gestürzt haben könnte – und meinetwegen. Mein Sohn wollte meinen guten Ruf schützen.«
Die beiden anderen lauschten seinen Worten schweigend. Delius neigte sich vor, gefangen von dem Bericht des alten Mannes. Ditmold schenkte Titus jedoch nicht seine ungeteilte Aufmerksamkeit, da er gelegentlich auf einem Stück Hähnchenfleisch kaute.
»Wahrscheinlich begann alles mit Severins erster Ehe«, fuhrder Greis fort. »Dieser Narr hatte keine glückliche Hand mit den Frauen. Erst die Schwester dieses Imhoff und ...«
»Christianes Vorgängerin war mit Georg Imhoff verwandt?«, entfuhr es Delius verblüfft.
»Das sag ich doch. Severins verstorbene Gemahlin war die Imhoffin. Weiß der Himmel, was er an ihr fand. Sie war verlogen und hinterhältig. Natürlich war sie nach außen der Inbegriff eines respektvollen Weibes, aber unter der Schale lauerte ihr wahrer Charakter. Reinste Bösartigkeit ... Insofern hatte es Severin mit Christiane besser getroffen: Sie ist vorlaut und eigensinnig, aber wenigstens aufrichtig.«
»Hm«, machte Delius.
»Sprecht bitte weiter«, forderte Ditmold den Alten auf, da dieser durch die Unterbrechung den Faden verloren zu haben schien und plötzlich nur stumpfsinnig vor sich hin stierte, anstatt seine Geschichte zu erzählen.
Titus ließ sich Zeit. Er fuhr sich mit der Zungenspitze über die trockenen Lippen. Dann: »Es gab viel Streit zwischen Severin und der Imhoffin. Ich hab damals schon vermutet, dass sie zu der Sekte strebt, aber ich wollte Severin das Herz nicht schwer machen und sie als Täuferin anzeigen. Letztlich wäre ihr Irrglaube ja auf uns alle zurückgefallen, nicht wahr?«
Als der Assessor bedächtig nickte, fuhr Titus fort: »Deshalb habe ich geschwiegen. Als sie der Pest erlag und Severin und ich die Krankheit überlebten, dachte ich, Gott meint es gut mit uns und ich könnte mein Lebensende nunmehr in Ruhe und Frieden mit meinem Sohn erwarten. Ich hoffte, dass Severin die Freundschaft zu Imhoff abbrechen und uns dann nichts mehr an die schrecklichen Jahre zuvor erinnern würde. Doch ich wurde getäuscht: Severin flatterte um den Dichter herum wie eine Motte um’s Licht und brachte mir diese junge Frau ins Haus, als wär’s eine Strafe Gottes.«
»Na, so widerwärtig ist Christiane nun auch wieder nicht«, protestierte Delius empört.
Ditmold grinste, beteiligte sich aber nicht an dieser Auseinandersetzung.
»Nein, das ist sie nicht. Gewiss nicht«, bestätigte Titus milde. »Sie ist das kleinere Übel. Ich weiß das wohl. Die eigentliche Strafe war die enge Verbindung zu Georg Imhoff, die Severin weiterführte und finanzierte, indem er Schulden machte. Bei dem Studium der Bücher mit Meister Bäumler habe ich herausgefunden, dass ungeheuerliche Summen in Imhoffs Kasse wanderten. Das sind Beträge, die durch nichts zu erklären sind. Nicht einmal der Brautpreis seiner jungen Frau kann Severin so viel gekostet haben wie die ewige Freundschaft zu Imhoff.«
»Sein Haus spricht im wahrsten Sinne des Wortes Bände«, bemerkte Ditmold. »Ich frage mich allerdings, warum ausgerechnet ein Täufer, der, seinem Glauben folgend, auf Luxus verzichten sollte, in derartigem Prunk lebt.«
»Verlogenheit«, schlug Delius vor. »Einerseits predigt er Enthaltsamkeit, andererseits ist er mit dem Überfluss zufrieden. Seiner Gemeinde kann er derweil weismachen, dass Verschwendung die beste Tarnung ist und ihn vor dem Scheiterhaufen schützt.«
»So ist es wohl«, stimmte Titus zu. Er unterbrach sich, um aus seinem Weinkrug zu trinken, doch die Menge, die er in seine Kehle laufen ließ, war geringer als zuvor. Offenbar sah er keinen Grund mehr, sich sinnlos zu betrinken. Nachdem er sich mit dem Handrücken über den Mund gewischt hatte, sprach er weiter: »Der Zunftmeister stellte die Überlegung an, dass Imhoff meinen Sohn erpresst hat – und ich bin seiner Meinung, obwohl ich Bäumler natürlich verschwiegen habe, warum dem so ist. Ich bin sicher, die Imhoffin hat etwas aus meiner Vergangenheit herausgefunden, was sie Severin unterdie Nase rieb und gleichsam ihrem Bruder mitteilte. Das würde alles erklären.«
»Um Himmels willen«, brach es aus Delius
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