Die Hüterin des Evangeliums
Unfrieden zwischen den Verhandlungsparteien gesät wurde.«
»Das stimmt«, sagte von Hallensleben milde. »Fünf Wochen haben die Vertreter der Kurfürsten und die Fürsten gebraucht, um sich auf den Religionsfrieden als ersten Punkt der Verhandlungen zu einigen, da ...«
»Bei allem Respekt«, unterbrach Georg, »mir scheint, die Verhandlungsführer feiern und essen nur. Schon vor zwei Jahren wurde mit den Vorbereitungen zum Reichstag begonnen, und doch kommt man keinen Schritt weiter. Bei der Geschwindigkeit, mit der die Tagesordnung festgelegt wurde, nehme ich an, es gefällt den Herren Räten so gut in Augsburg, dass sie nimmermehr aufhören möchten, sich hier zu besprechen. Vielleicht ist allein aus Gründen der Enthaltsamkeit eine Unterbrechung der Verhandlungen vonnöten.«
Die Männer in der kleinen Gruppe, die um den Dichter herumstanden, fielen in sein leises Gelächter ein. Christiane verkniff sich ein Schmunzeln und spazierte weiter durch ihre Stube, um Maitingers Gäste angemessen zu bewirten. Schließlich füllte sie den letzten Tropfen aus der Karaffe in Severins Glas, der sie daraufhin bat, rasch in den Keller zu laufen und von dem Riesling zu holen, mit dem sich seine Freunde seit einer Weile betranken.
Christiane schickte sich zwar gehorsam an, die Runde zu verlassen, doch blieb sie hinter der Tür stehen, anstatt ihres Weges zu gehen. Da sie annahm, dass nicht alle Herren in ihrer Anwesenheit freiheraus sprachen, verharrte sie für einen Moment neugierig auf ihrem Lauschposten – und wurde belohnt.
»Ich hörte von Neuigkeiten vom Reichstag«, verkündete Conrad von Hallensleben mit erhobener Stimme, für dieChristiane ihm äußerst dankbar war. Der Geräuschpegel der anderen Unterhaltungen senkte sich, und plötzlich war es still in der Stube geworden. »Wie mir aus zuverlässiger Quelle berichtet wurde«, fuhr von Hallensleben nach seiner pointierten Pause fort, »kam es nunmehr zu der Entscheidung, dass Sekten von den Verhandlungen auszuschließen sind und auch niemals von den Ergebnissen profitieren dürfen.«
»Ha!« Ein Mann, dessen Tonfall Christiane keiner bestimmten Person zuordnen konnte, schien sich ob der Information vor Lachen zu biegen. »Dann müssen die Protestanten ja allesamt abreisen.«
»Die secta lutherana ist nicht gemeint«, widersprach von Hallensleben ruhig. »Vielmehr geht es um Sektierer wie Täufer und Juden.«
»In die Irre geleitete Menschen also«, konstatierte der Hausherr. »Vernünftig, sehr vernünftig.«
»Wo kämen wir hin, wenn jedem Prediger erlaubt wäre, ein Volk nach seinem Sinn zu formen?«, fragte ein anderer, den die Lauscherin ebenfalls nicht so gut kannte, dass seine Stimme ihr auf Anhieb vertraut war. »Der Katastrophe Martin Luther sollten keine weiteren Reformer folgen.«
Zustimmendes Schweigen senkte sich über die Männer. Dann klirrte plötzlich Glas, Schritte hallten über den Dielenboden.
Christiane raffte ihre Röcke und wandte sich rasch zur Stiege. Zu peinlich, wenn sie unverrichteter Dinge an der Tür angetroffen würde. So hörte sie nicht, welcher der Gesprächspartner die Schreibstube verließ, wahrscheinlich, um sich Erleichterung zu verschaffen.
Sie eilte in den Keller, wo Severin seine erlesenen Weine hütete wie einen Schatz. Es roch unangenehm muffig nach Kork, Staub und Alkohol, doch in den luftdicht verschlossenen Tonkaraffen und Holzfässern lagerten die süffigsten Getränkeaus dem Rheingau, dem Burgund und der Toskana. Ihr Gatte erlaubte ihr nicht häufig, etwas anderes als Apfelmost zu sich zu nehmen, so dass bislang nur Christianes Phantasie trunken war von den geheimnisvollen Namen und blumigen Düften in den unterschiedlichen Gefäßen. Sobald er einmal auf Geschäftsreise gehen würde, das hatte sie sich fest vorgenommen, würde sie sich hierher zurückziehen und jede einzelne Rebsorte kosten.
Sie drehte den Hahn des Fasses, in dem der Riesling gereift war. Die helle, goldgelbe Flüssigkeit plätscherte in den Krug. Da traf sie ein Gedanke, und sie drehte erneut am Zapfen, bevor sie das Gefäß neben sich auf den Boden stellte. Wieder ein Griff an den Verschluss, diesmal vorsichtiger – und der Wein rann in ihre zu einem Kelch geformte Hand. Zufrieden hob sie ihre Linke, schlürfte daraus und leckte die letzten Tropfen von der Haut. Der Geschmack war überaus angenehm ...
»Euch zuzuschauen kann einen Mann um den Verstand bringen«, bemerkte eine vertraute Männerstimme.
Christiane fuhr erschrocken
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