Die Hüterin des Evangeliums
die Schlafkammer, schob sie zur Seite und zog mit energischen Griffen die Portieren vor die Scheiben. »Zieh wenigstens die Vorhänge zu, wenn du nachdenken möchtest. Du solltest wirklich ein wenig mehr auf deine Tugend achten, Christiane.«
Es erschien ihr sinnlos, mit ihm darüber zu streiten, ob sie von irgendwo beobachtet werden konnte oder eher nicht, wie sie indes vermutete. »Wie ich höre, werden die Pressen noch immer bedient«, sagte sie, während sie nach ihrem Nachtgewand griff und es überstreifte.
»Ja, der Geselle und der Lehrling werden die ganze Nacht durcharbeiten müssen. Es gibt Neuigkeiten vom Reichstag. Daher müssen bis morgen früh Flugblätter gedruckt werden.«
Christiane ärgerte sich, dass er ihr nicht unverzüglich berichtete, was geschehen war. Meistens war sie, wenn sie nicht an der Tür von Maitingers Schreibstube lauschte, auf Straßenklatsch oder die Ausrufer angewiesen. Severin berichtete sogut wie nie von sich aus, was derzeit in Augsburg vor sich ging. Im Erdgeschoss ihres Heims wurden die Informationen mittels Bleilettern festhalten und anschließend verbreitet, doch sie sollte am besten unwissend bleiben.
Der Groll stand ihr offenbar so deutlich im Gesicht geschrieben, dass ihr Mann überraschenderweise einlenkte: »Unser Bischof verlangt eine »Vertagung« des Reichstags.«
»Warum?«
»Die Frage der geistlichen Güter wiegt schwer. Die Parteien streiten um den Kirchenbesitz, also darum, was aus den Pfründen in den Ländern der Ketzer werden soll. Der Wert ist enorm. Das ist keine Kleinigkeit.«
»Hm«, machte Christiane, die ihre Meinung dazu lieber für sich behielt. Es war ebenso freundlich wie ungewöhnlich, dass Severin sie informierte. Sie wollte ihn nicht mit einem Kommentar, der ihm zweifellos nicht gefallen würde, gegen sich aufbringen. Statt die Unterhaltung weiterzuführen, streckte sie sich unter dem kalten Laken auf ihrer Bettseite aus. Noch immer durchlief ein Frösteln ihren Leib.
Versonnen beobachtete sie ihren Mann, der sich seines Wamses entledigte und das Leinenhemd abstreifte, um sich am Zuber mit dem Wasser zu waschen, das von ihrer Reinigung übriggeblieben war. Meitinger besprühte seine blasse, unbehaarte Brust mit ein paar Tropfen und rieb mit einem Tuch nach, bis die milchweiße Haut eine rötliche Farbe annahm. Dann tauchte er beide Hände in die Wanne, hob sie heraus und schob sie sich unter die Achseln.
»Du sollst mich nicht so anschauen«, murmelte er verlegen, als er den Kopf hob und ihren forschenden Blick bemerkte.
»Aber du bist mein Mann ...«
»Das ist genauso wie das Nachdenken am Fenster – es ziemt sich nicht, Christiane«, seine Stimme hatte wieder an Festigkeit gewonnen, sein Ton war voller Tadel und seineMiene ausdruckslos wie eh und je. »Ich frage mich, was heute Abend in dich gefahren ist, Weib.«
Ich sollte ihn nach Sebastian fragen, fuhr es Christiane durch den Kopf. Er hatte den Zustand ihres angeheirateten Vetters heute Mittag selbst erlebt. Sie sollte mit ihm besprechen, was für Sebastian zu tun war. Doch sie blieb stumm.
Severin ergriff sein Nachthemd und zog es an. Erst nachdem der Saum über seine Waden gefallen war, zog er seine Hose aus. Danach löschte er die Kerzen, die den Raum in ein warmes, gelbes Licht getaucht hatten. Es war stockdunkel, doch er fand sich in seiner Schlafkammer mühelos zurecht. Ohne gegen ein Möbel zu stoßen, erreichte er seine Seite des Ehebettes. Er tastete nach einem Zipfel des Betttuchs und kroch darunter.
Christiane schätzte jede seiner Bewegungen ab. Sie sah ihn nicht, hörte nur seinen Atem, aber sie begleitete seine Gesten, als würde sie sie mit eigenen Augen beobachten können. Es war immer dasselbe Ritual. Sie wusste, was jetzt kam, denn es war jeden Samstag dasselbe.
»Dreh dich um, mein Lieb’«, forderte ihr Gatte in ermüdender Wiederholung.
Es war zu spät, ein Gespräch auf Sebastian Rehm zu bringen.
Und das Essigschwämmchen hatte sie auch nicht präpariert!
Der Schreck schnürte Christiane die Kehle zu. Wie hatte sie das Wichtigste nur vergessen können? Verdammte Grübelei!
Wie er es von ihr erwartete, wälzte sie sich gehorsam auf den Bauch. Dann zählte sie im Geiste bis drei, verfolgte das leise Rascheln und Knistern des Bettzeugs, bis sie Severins Hände spürte, die sich unter ihr Hemd schoben und ihre Pobacken umschlossen. Gleich würde er die Haut kneten, zuerst sanft, dann stärker, und schließlich würden sich seine Fingerin ihren Hintern
Weitere Kostenlose Bücher