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Die Hüterin des Evangeliums

Die Hüterin des Evangeliums

Titel: Die Hüterin des Evangeliums Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriela Galvani
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Flüssigkeit heraussprudeln würde.
    Nichts.
    Das Weinfass schien so leer wie ein ausgetrockneter Brunnen.
    Oder war der Verschluss kaputt? Vielleicht klemmte etwas. War es möglich, dass ein solches Ventil verstopfte? Griff Severins Geist ein, um zu verhindern, dass seine Witwe sein Verbot überschritt?
    Ihre Weinprobe begann nicht gerade vielversprechend.
    Enttäuscht versetzte Christiane dem Fass einen Tritt. Mit einiger Überraschung registrierte sie, dass es nicht so schwer war wie erwartet. Es schaukelte, fiel von dem Schemel, auf dem es stand, und rollte über den Boden. Dabei öffnete sich der Deckel wie von selbst – und mehrere Papierbündel ergossen sich über die Steine. Einzelne Bögen flatterten durch die Luft und blieben schließlich irgendwo liegen. Fassungslos vor Staunen starrte Christiane auf ihren Fund.
    Nur langsam begriff sie, dass sie ein Geheimnis entdeckt hatte. Was immer auf den Papieren stand, Severin hatte einen Grund für so viel Heimlichkeit gehabt. Ein leeres Weinfass war ein guter Ort, anderen Rätsel aufzugeben. Wo ein Versteck war, gab es Leute, die nach dem Inhalt suchten.
    Christiane spürte die Neugier bis in die Haarspitzen, als sie sich bückte, um die Schriftstücke aufzuheben. Es war zu finster, um an Ort und Stelle zu lesen, worum es sich handelte. In der Dunkelheit konnte sie kaum alle Blätter ausmachen und wusste daher nicht einmal, ob der Stapel in ihren Händen vollständig war. Sie würde die Kellertür, die Severin stets mit größter zur Schau gestellter Gleichgültig unverschlossen gelassen hatte, in Zukunft verriegeln.
    Die Papiere so fest umklammert, dass der Beschreibstoff zuknittern begann, stieg sie wieder nach oben. Ihr Ziel war Severins Schreibstube. Diesen Abend würde sie mit einer umfangreichen Lektüre verbringen, das stand bereits bei einem ersten Blick auf die mysteriösen Dokumente fest – sie waren mit einer ihr unbekannten Handschrift eng bekritzelt oder mit altmodisch verschnörkelten Buchstaben bedruckt. Sie würde sich anstrengen müssen, den Text zu entziffern. Aber nichts auf der Welt konnte sie davon abhalten.

19
    »Warum schläfst du nicht?«
    Marthas weiche Stimme schreckte Christiane auf, als wäre es ein Donnerhall. Sie starrte ihre Cousine aus rot geränderten Augen an, gleichzeitig todmüde und aufgeregt. Ihr Zeitgefühl war verlorengegangen in den vergangenen Stunden, die sie über den geheimnisvollen Papieren aus dem leeren Weinfass verbracht hatte. Einmal hatte sie die Kerzen in dem zweiarmigen Leuchter auf Severins Schreibtisch auswechseln müssen, als die alten Lichter zu Stumpen heruntergebrannt waren. Ansonsten hatte sie – fasziniert, angezogen wie entsetzt von dem Text – über ihrem Fund gebrütet und die Welt um sich her vergessen. Das nun bei der kleinsten Bewegung stechende Ziehen in ihrer Halsmuskulatur erwies sich als schmerzhafter Beweis ihrer Anspannung.
    Erstaunt registrierte sie, dass der Himmel vor ihrem Fenster von einem schiefer- zu einem perlfarbenen Ton wechselte. Sie fuhr sich mit der Hand über die Augen. »Ist schon Morgen?«, fragte sie matt.
    »Nein, noch nicht. Nirgendwo kräht der Hahn. Es ist noch Schlafenszeit«, Martha trat zögernd näher. Offensichtlich fühlte sie sich nicht wohl bei der Erkenntnis, ihre Cousinegestört zu haben. Christiane konnte ihr ansehen, dass sie am liebsten wieder auf ihren barfüßigen Sohlen umgedreht und in ihr eigenes Zimmer gelaufen wäre. Doch eine gewisse natürliche Neugier schien Martha zurückzuhalten: »Was tust du hier?«
    »Ich habe Unterlagen gefunden ...«, hob Christiane an, brach dann aber wieder ab, unschlüssig, ob sie sich Martha anvertrauen sollte oder ihr in den vergangenen Stunden erworbenes Wissen besser vorläufig für sich behielt. Nachdenklich knabberte sie an ihrer Unterlippe, bevor sie hinzufügte: »Es sind Papiere vom Meitinger.«
    »Das hätte ich mir denken können. Verzeih meine Aufdringlichkeit ...«
    Christiane machte eine wegwerfende Handbewegung. »Red keinen Unsinn. Was treibt dich um?«
    Martha zuckte mit den Schultern. »Ich glaube, ich habe achtundvierzig Stunden ununterbrochen geschlafen. Irgendwann brauchte mein Körper wohl keine Ruhe mehr. Deshalb bin ich herumgelaufen und habe dann Licht in diesem Raum gesehen. Aber was ist mit dir? Du solltest die Nacht zum Schlafen nutzen, für Papiere ist am Tag Zeit. Es wird bestimmt noch so viel auf dich zukommen, dass jeder Augenblick Entspannung nötig ist.«
    »Nach allem, was ich

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